Spitzel lesen künftig E-Mails

Bundesregierung will gesamte Telekommunikation überwachen. Die Wirtschaft soll die Kosten der Verbrecherjagd tragen. Bundesdatenschutz hat keine Bedenken

BERLIN taz ■ Der Staat will nicht nur mithören, er will auch mitlesen. Das Wirtschaftsministerium hat am Montag den Entwurf für eine Telekommunikations-Überwachungs-Verordnung veröffentlicht. Demnach sollen künftig nicht nur Telefongespräche abgehört, sondern auch E-Mails und Kurzmitteilungen gelesen werden können, wenn ein Gericht gegen eine Person wegen schwerer Straftaten ermittelt.

Wird die Verordnung verabschiedet, müssten Internetprovider eine Technik installieren, die E-Mails auf Anforderung für den Staatsanwalt abspeichert. Den Providern passt das Konzept überhaupt nicht. Denn die Kosten der Überwachungsanlagen sollen sie selbst tragen. „Erfahrungen aus den Niederlanden haben gezeigt, dass für jeden Provider zwischen 50.000 und 150.000 Mark fällig werden“, klagt Harald Samma, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Internetwirtschaft. „Die jährliche Wartung kostet noch einmal 10.000 Mark“, ergänzt Niels Lau, Telekommunikationsexperte des Bundesverbands der Deutschen Industrie.

Beide kritisieren einen Paragrafen, der die Provider zu einer Prüfung verpflichtet, ob die richterliche Anordnung einer Überwachung formal juristisch korrekt ist. Der Staat gibt die Verantwortung für die Herausgabe von Daten somit teilweise ab. Die Internetwirtschaft erwägt laut Samma die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle, „weil kleine Anbieter die juristische Prüfung nicht leisten können“. Lau hat zudem Einwände gegen die Speicherung und Herausgabe von Kreditkartennummern, welche die Verordnung vorsieht.

Im Gegensatz zur Wirtschaft hat der Bundesbeauftragte für Datenschutz mit dem Papier keine Probleme. „Es ist ein wichtiger Entwurf und hat gute Chancen, verabschiedet zu werden“, sagt Sprecherin Helga Schumacher. Sie betont vor allem die Vorzüge gegenüber der vorangegangenen und auf massiven Druck von Wirtschaft und Bürgerrechtlern 1998 zurückgezogenen Verordnung. So müssen jetzt firmeninterne Netzwerke keine Abhöreinrichtungen vorhalten. Bei ihnen reicht die Installation im Verdachtsfall. Telekommunikationsanbieter mit weniger als zweitausend Kunden dürfen sich den Gerätepark zum Abhören mit anderen teilen.

Spätestens 2004 sollen nach Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums alle Überwachungseinrichtungen installiert sein. Doch ob der grüne Koalitionspartner das Konzept absegnet, ist offen. „Der im Referentenentwurf vorgesehene Umfang der aufzuzeichnenden Daten ist vollkommen unverhältnismäßig“, kritisiert die medienpolitische Sprecherin Grietje Bettin. Lobbyist Harald Summa sieht das ähnlich: „Da es im Internet keine individuellen Leitungen gibt, müssen die Provider ihren gesamten Datenstrom mitschneiden.“ RALF GEISSLER