Kafka, Jahnn, Townshend, Hitler und der NKWD

■ Größere Themenvielfalt: Die jüngste Ausgabe der Zeitschrift „Mittelweg 36“ – Nachrichten aus dem Institut

Wer hat eigentlich die „Light-show“ erfunden? Eine Antwort gibt überraschenderweise der Auftaktartikel für das jüngste Heft der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Mittelweg 36. In „Gitarrenzertrümmerung – Gustav Metzger, die Idee des autodestruktiven Kunstwerks und deren Folgen in der Rockmusik“ erzählt Wolfgang Kraushaar, Metzger, der Auschwitzüberlebende und Erfinder der autodestruktiven und der autokreativen Kunst, habe die für die sechziger Jahre typischen Flüssigkristall-Projektionen mit ihren bekannt psychedelischen Effekten ersonnen.

Doch nicht nur diese Seite von Metzgers Kunstkonzept, die autokreative, hat Bands wie etwa The Cream oder The Who beeinflusst. Auch die autodestruktive, so weist Kraushaar nach, hat den ehemaligen Kunststudenten Pete Townshend inspiriert, etwa zu der furiosen Zerstörung der Anlage, die The Who auf dem ersten großen Open-Air-Konzert in Monterey 1967 hinlegten, bevor nach ihnen Jimmy Hendrix seiner Gitarre den Rest gab. Metzger allerdings missbilligte diese „Interpretation“ der Autodestruktion. Seiner Vorstellung nach hatte sich – er wandte sich damit gegen die Musealisierung der Kunst und die nuklearen Zerstörungsmächte des 21. Jahrhunderts zugleich – das Kunstwerk nach lediglich vorbereitenden Maßnahmen durch den Künstler auf unvorhergesehene Weise selbst zu zerstören. Er selbst arbeitete dazu zum Beispiel mit Salzsäure oder Sprengkörpern. Kraushaars Nachweis der Differenzen zwischen Metzger und den von ihm inspirierten Musikern kommt allerdings über weite Strecken etwas akademisch daher.

Dem langjährigen Institutsthema „Folter im 21. Jahrhundert“ widmet sich Sven Kramer in seinem Aufsatz zur Darstellung der Folter bei Franz Kafka und Hans Henny Jahnn („Zu-Tode-beschreiben“). Dort weist er in einigen Texten der genannten Autoren nicht nur eine inhaltlich veränderte Thematisierung der gewaltsamen Körperqualen, sondern auch eine qualitativ andere ästhetische Vergegenwärtigung nach: Sowohl Kafka als auch Jahnn verwerfen – wie es in der proletarischen Heldenerzählung der Zeit üblich war – die Idee der Folter als Zweikampf, bei dem der widerständige Geist über den malträtierten Körper triumphiert. Stattdessen geraten die traumatischen Folgen der Folter ins Zentrum. Und auf formaler Ebene reflektieren beide – ohne es freilich aufheben zu können – dass das Beschreiben der Folter keine unschuldige Sache ist.

Neben einer kleinen Fortsetzung der seit über zwei Jahren währenden Auseinandersetzung um die Thesen Robert Castels zur Kategorie der „Überflüssigen“ in den Sozialwissenschaften durch den Soziologen Berthold Vogel, finden sich in dem Heft zwei Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus. Werner Renz erörtert in „Anmerkungen zur Erforschung der Wahrheit im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess“ die politische und juridische Bedeutung der maßgeblich von einem Anwalt der Opfer hartnäckig durchgesetzten Ortsbegehung in Auschwitz durch das Schwurgericht. Und Reinhard Müller erzählt die spannende Geschichte, wie ein Protokoll von Hitlers berüchtigter Rede vor der Reichswehrführung 1933 über die konspirativen Kanäle illegaler deutscher Kommunisten umgehend in sowjetische Hände gelangen konnte.

So langweilig, wie sie daherkommen, sind auch diese beiden Aufsätze nicht. Über mangelnde gestalterische Sexiness von Printprodukten soll hier aber eh nicht gerichtet werden. Dafür lassen sich meistens problemlos „objektive“ Gründe vorschützen. Immerhin Kraushaars Text ist reichlich mit poppigen Fotos bestückt.

Christiane Müller-Lobeck

Mittelweg 36 Nr. 1/2001 (Februar/März), 96 S., 18 Mark