Giganten im Ruhestand

Nach dem Abgang von Schwergewichtsboxer Félix Savón, der dreimal olympisches Gold gewann, und von Meistertrainer Alcides Sagarra setzen Kubas sieggewohnte Faustkämpfer auf Erneuerung

aus Havanna KNUT HENKEL

Zur Begrüßung senkt Félix Savón kurz die Sonnenbrille und blinzelt ins Licht. Schnell schiebt er den überdimensionierten Sonnenschutz aber wieder in die Ausgangsposition und entschuldigend nuschelt er etwas von einer Augenentzündung. Die Augen hinter den Gläsern sind leicht geschwollen, wie nach einem leichten Kampf. Doch in den Boxring ist der schlagkräftige Ideologe des „socialismo tropical“ seit den Olympischen Spielen in Sydney nicht mehr geklettert. Das Boxturnier „Playa Girón“ in Santiago de Cuba geht erstmals zu Ende, ohne dass der „Gigant von Guantánamo“ seine Handschuhe geschnürt hatte.

Dafür saß Savón nachdenklich in der ersten Reihe am Ring und schaute zu, wie sein Nachfolger, Odlanier Solís, sich den Titel im Schwergewicht holte. Savón hat Urlaub und weiß noch nicht so recht, was er in Zukunft machen wird. Doch das von Seilen eingefasste Rechteck will der 32-Jährige nicht mehr betreten. So jedenfalls hat es Verbandspräsident José Barrientos Anfang Januar bekannt gegeben.

358 Kämpfe hat Savón bestritten, 341 Mal hob der Ringrichter seinen muskulösen rechten Arm zum Zeichen des Sieges hoch. 341 Siege für die Revolution, für die kubanische Bevölkerung – und für Fidel. Doch gefragt hat ihn scheinbar niemand: ob er denn zurücktreten oder noch das letzte große Turnier, die Weltmeisterschaften in Irland im Juni, bestreiten will. „Ich habe noch nicht von meinem Rücktritt gesprochen, bisher sind es nur die Journalisten, die darüber schreiben“, sagt er bockig. Doch auch der Boxlegende Savón, die sechs Weltmeistertitel und drei Olympiasiege erboxt hat, ist klar, dass sie umdenken muss.

Botschafter des Boxens

Bisher ist sich der sechsfache Vater noch nicht recht sicher, was er nun machen soll: Boxtrainer oder Botschafter für einen sauberen Amateursport? Beides kann er sich vorstellen, doch als Botschafter taugt der sehr langsam sprechende und gerne über die Errungenschaften der Revolution dozierende Savón nicht unbedingt. Was also bleibt, ist die Trainerkarriere, die auch Héctor Vinent, Olympiasieger im Halbweltergewicht von Barcelona und Atlanta, einschlagen wird. Vinents Abschied vom aktiven Boxsport wurde gemeinsam mit dem von Savón und einiger anderer Boxer bekannt gegeben.

Zweifelsfrei ist es die richtige Entscheidung für Savón, denn er hat nicht mehr den Punch, der die Gegner früher zittern ließ. Beide Hände sind von 20 Jahren Boxsport gezeichnet: Die Daumengelenke geschwollen, die Kapseln verknorpelt. Zudem weist das rechte Handgelenk einen Knick auf. Die Verletzung, die zuletzt schwer zu schaffen machte, hat er sich schon 1982 beim Training am Sandsack zugezogen und sie mit Eis und Massagen behandelt. 1997 brach sie wieder auf, doch statt sich operieren zu lassen, wie es die Mediziner rieten, machte Savón weiter, um seine Sydney-Teilnahme nicht zu gefährden.

Dafür musste er sogar seine Ringstrategie ändern, mehr taktieren als früher. Die Dominanz Savóns begann vor allem innerhalb Kubas zu bröckeln. Einige Niederlagen in den vergangenen Jahren, die letzte gegen den aufstrebenden Jugendweltmeister von 1998, Odlanier Solís, haben dem Boxdenkmal einige Kratzer verpasst. Niemand wollte Savón jedoch die Chance nehmen, sein drittes Olympiagold zu holen und so mit Teófilo Stevenson, seinem kubanischen Vorbild, gleichzuziehen.

Verantwortlich für diese Entscheidung war Alcides Sagarra, der „Weltmeister der Boxtrainer“, wie Fidel Castro ihn einmal nannte. Sagarra hat Savón und andere Boxer geformt und mit ihnen 27 olympische Goldmedaillen gewonnen. Doch auch bei Sagarra machten sich nach 36 Jahren im Trainerstab Verschleißerscheinungen bemerkbar, weshalb er die Ringecke mit einem Stuhl in der Nationalen Boxkommission tauschte. Allerdings werden Sagarra auch Streitereien mit anderen Trainern nachgesagt, die sich vom Boxguru schlecht behandelt und zum Zuarbeiter degradiert fühlten.

Lästiger Goldschwund

Zudem trat die nationale Staffel in den vergangenen Jahren nicht mehr so dominant auf wie noch zu Beginn der 90er-Jahre. Statt der sieben Goldenen in Barcelona waren es in Sydney nur noch vier, einige der kubanischen Faustkämpfer scheiterten gar im Achtel- oder Viertelfinale. In den Augen der erfolgsverwöhnten kubanischen Boxfunktionäre war das ein Unding. Sie machten Anfang Januar Sarvélio Fuentes zum neuen Chefcoach.

Fuentes gehört, wie Sagarra, zu den Vätern der kubanischen Boxschule. Er arbeitete Sagarra bis 1994 zu, bevor er sechs Jahre lang die argentinische Boxequipe coachte. Anders als sein Vorgänger, der als autoritär und exzentrisch gilt, ist Fuentes ein umgänglicher Typ, der den Umbruch im kubanischen Boxsport lenken soll.

Ein Nachfolger für Seriensieger Savón scheint mit Odlanier Solís schon gefunden. Hoffnungen, zur WM nach Irland fahren zu dürfen, können sich auch einige der jungen Boxer von Nachwuchstrainer Pedro Roque machen. Roque, der seit sechs Jahren für den Jugendbereich zuständig ist und zuvor die französische Equipe an die Weltspitze heranführte, hat in den letzten Jahren Boxer wie Mario Kindelán und Johanson Martínez hervorgebracht. Kindelán gilt als Kubas derzeit bester Boxer und hat sich seinen Olympiatraum souverän vergoldet. Martínez muss sich international allerdings noch genauso beweisen wie Inocente Fiss oder Yunier Bárzaga. Die stammen ebenfalls aus dem Kader von Roque und treten ausgesprochen selbstbewusst auf. Der Generationswechsel im Boxsport Kubas hat längst begonnen, für Savón bleibt der Platz in den Annalen.