Alles bestreiten, nichts dementieren

Der Streit um einen WDR-Film zur „Kosovolüge“ geht weiter: In einem internen Schreiben nannte die Bundestagsfraktion der Grünen den Film ein „unerträgliches Konglomerat aus Halbwahrheiten“ – und tischte zur Beruhigung eine weitere Lüge auf

Nur der Chef des Bayerischen Rundfunks kritisierte den Film

von ANDREAS ZUMACH
und BETTINA GAUS

Der WDR-Film „Es begann mit einer Lüge“ vom 8. Februar über die vor allem von Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Bundesaußenminister Joschka Fischer benutzten Argumente für den Luftkrieg der Nato gegen Jugoslawien vom Frühjahr 1999 (siehe gestrige Medienseite) hat im Bundesvorstand der SPD Zweifel aufgeworfen, ob die Partei der deutschen Beteiligung an dem Krieg zugestimmt hätte, wenn schon damals alle mittlerweise vorliegenden Informationen bekannt gewesen wären.

Mit nachweislich falschen Behauptungen über angebliche Kritik an dem Film innerhalb der ARD versucht derweil die grüne Bundestagsfraktion die Aufregung zu beruhigen, die der Film in zahlreichen Parteigliederungen verursacht hat.

Der SPD-Vorstand diskutierte auf seiner Sitzung am Montag über den Film. Dabei sagte der ehemalige Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau, er halte es für zweifelhaft, dass die SPD der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg zugestimmt hätte, wenn alle mittlerweile bekannt gewordenen Informationen schon früher vorgelegen hätten.

Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer erklärte, es sei sehr problematisch, wenn immer wieder Aussagen des Verteidigungsministeriums über Vorkommnisse im Kosovo durch Dokumentationen widerlegt würden und es öffentlich der Lüge bezichtigt werden könne.

Scharping nahm wegen seiner Chinareise nicht an der Sitzung teil. Der Parteivorsitzende, Bundeskanzler Gerhard Schröder, der die Vorstandssitzung leitete, äußerte sich nicht ausdrücklich zu den Vorwürfen. Er wies aber darauf hin, dass er selbst den Einsatz der Bundeswehr bündnispolitisch begründet hatte.

Die Bundestagsfraktion der Grünen befasste sich auf ihrer Sitzung vom 13. Februar mit dem Film. Danach druckte die Fraktion in ihrem internen, für Funktionäre in den Parteigliederungen bestimmten „Info für Aktive“ folgenden Text ab: „Für einige Aufregung hat die Ausstrahlung eines Films in der ARD zum Kosovo-Krieg in der Fraktion und auch in manchen Kreisverbänden der Partei geführt [...] Ludger Volmer, der parlamentarische Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hat in der Fraktionssitzung vom Dienstag dargestellt, dass es sich bei dem Beitrag um ein ziemlich unerträgliches Konglomerat aus Halbwahrheiten, Verdrehungen und Verschwörungstheorien handelt. Die ARD-Intendanten haben übrigens am nächsten Tag den Film einstimmig beanstandet.“ Diese Behauptung ist falsch.

Sie wurde unter anderem durch eine ausführliche Recherche der Frankfurter Rundschau öffentlich richtig gestellt. Die Intendanten der ARD-Anstalten haben sich überhaupt nicht mit dem WDR-Film befasst. Er war lediglich Thema auf der routinemäßigen Schaltkonferenz der Chefredakteure. Dabei machte ausschließlich der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks einige kritische Anmerkungen.

„Wir werden in den nächsten Tagen zu den einzelnen Vorwürfen im Detail Stellung nehmen“, wird in dem internen „Info für Aktive“ der Bundestagsfraktion angekündigt.

Das ist bis heute nicht geschehen. Auch Verteidigungsminister Scharping oder die Hardthöhe haben bis heute offiziell nicht auf den Film, der ja immerhin ausdrücklich die schweren Vorwürfe der „Lüge“, „Fälschung“ und „Manipulation“ gegen den Minister erhebt, nicht reagiert.

Dasselbe gilt übrigens auch für sämtliche anderen Artikel, Bücher, Filme, Hörfunksendungen oder öffentliche Reden, in denen seit Ende des Kosovokrieges entsprechende Vorwürfe gegen Scharping oder auch gegen Außenminister Fischer erhoben wurden. Es steht zu erwarten, dass dem WDR-Film ein ähnliches Schicksal zuteil wird: In keinem einzigen Fall gab es bis heute ein offizielles Dementi oder gar das Verlangen auf eine Gegendarstellung bzw. auf Unterlassung und Widerruf.