Die Söhne Rümelins

Die Wahrheit trägt weite Hosen und eine Strickmütze: „WestEndOpera“ ist das erste HipHop-Musical der Welt – das BKA-Luftschloss zeigt domestizierte Jugendkultur

„WestEndOpera“ ist Sozialkritik auferstaunlich hohemtechnischem Niveau

Es war zwar nicht alles da, was Rang und Namen hat, aber immerhin einer, der anscheinend Unvermeidliche: Staatsminister Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin beehrte am Mittwoch die Berliner Premiere von „WestEndOpera“, das weltweit wohl erste HipHop-Musical, mit Schirmherrschaft, Anwesenheit und ein paar warmen Worten. Der Berliner Kultursenator Christoph Stölzl dagegen, ebenfalls Schirmherr, konnte sich nicht freimachen und schickte seine Frau vor. Man selber war eindeutig over-dressed, aber immerhin, die mitgebrachte Tochter hatte ihre weiteste Elefantenhose aus dem Schrank gewühlt und nahm die Strickmütze auch bei größter Wärme konsequenterweise nicht ab.

Der noch besser angezogene Nida-Rümelin sprach über den Anlass des Abends als „Projekt der multikulturellen Verständigung“, aber auch davon, dass „der soziokulturelle und der arbeitsmarktpolitische Aspekt zweitrangig“ seien und stattdessen die Kunst im Vordergrund stehen solle. Dann ging aber der Video-Beamer nicht, und die ebenfalls anwesende, den VIP-Faktor immerhin leicht steigernde Christiane Rösinger (taz-Kolumnistin, Berliner-Seiten-Reporterin, Ex-Lassie-Singers, jetzt Britta) meinte trocken: „Das ist live.“ Auch sie war mit eigenem Nachwuchs erschienen. HipHop als Familienkonsens, so weit ist es also schon.

„WestEndOpera“ entstand Mitte der 90er-Jahre, als der Musiker Vridolin Enxing, in den 70ern bei der Agitprop-Combo Floh de Cologne, mit seinem Tonstudio durch die Münchner Jugendclubs zog. Aus Workshops entsteht schließlich das Projekt „WestEndOpera“, gefördert vom Kulturausschuss der Stadt München, mit 53 Jugendlichen aus 17 Ländern. Das Arbeitsamt München lobt die entstehenden Perspektiven für Problemjugendliche, das Jugendamt stellt einen Probenraum zur Verfügung.

Im Sommer 99 wird uraufgeführt, es folgen Gastspiele in der Restrepublik und in Italien. Dann darf man sogar bis nach New York reisen mit der von den Beteiligten zum großen Teil selbst geschriebenen Geschichte über die Konflikte in einer Jugendgruppe, die sich gegen den Abriss ihres Treffpunkts wehren wie gegen die Vereinnahmung durch die Medien.

Im BKA-Luftschloss auf dem Schlossplatz applaudiert das Publikum, zum überwiegenden Großteil aus geladenen Gästen und Presse bestehend, freundlich vor sich hin. Manchmal kreischt jemand ein „Yeah“. Und tatsächlich findet der zeitgemäße Mix aus Beats und Raps, professionell choreografierten Tanzeinlagen, authentischen DarstellerInnen und Sozialkritik von Kindesmissbrauch bis Deutschtürkenproblematik auf erstaunlich hohem technischem Niveau statt, kann aber den Beigeschmack des Sozialprojekts nie richtig los werden. Egal: Die erfolgreich domestizierte Jugendkultur kam beim gutbürgerlichen Feuilleton überaus gut an. Zeit, Spiegel und Focus lobten einmütig, und die Süddeutsche Zeitung entdeckte gar „Wahrheit“. Das Berliner Premierenpublikum verkniff sich trotzdem die Standing Ovations.

Ein Eindruck war nicht wieder loszuwerden: Irgendwie verträgt sich HipHop nicht mit dem BKA-Luftschloss. Die Leute auf der Bühne finden es eben nicht so richtig „def“, „fett“ und „hip“, dass unten gemütlich an Tischchen gesessen wird, heimelige Kerzchen brennen, Weingläser ausgetrunken und italienische Vorspeisenplatten gereicht werden. THOMAS WINKLER

Bis 24. 3. Mi.–So. um 20 Uhr (außer 25. 2.), Sa./So. auch 16 Uhr, BKA-Luftschloss, Schlossplatz/Unter den Linden