eject
: STEFFEN GRIMBERG über sakrale Fernsehrealitäten

Antizyklisch denken lernen mit der taz (II): „Big Brother“ ist heilig

Unwürdig! Menschenverachtend! Dümmlich! Obszön! – oder einfach nur schlecht, schlecht, schlecht: Ihr tut dem Großen Bruder aufs Bitterste Unrecht.

Auch wenn die Folge-Staffeln mittlerweile das sakrale Grundmuster arg verwässert haben: „Big Brother“ ist zutiefst christlich. Urchristlich sogar, und nirgendwo kam das besser und reiner und edler und überhaupt zum Ausdruck als im Ur-„Big Brother“.

Allein der Gesang – „Großer Bruder, du bist immer da, Großer Bruder und mein Freund fürs Leben“ – das war Kirchentag. ER begleitet dich durch den Tag und schützet dich in der Nacht, rund um die Uhr, und Rainer Laux ist sein guter Knecht.

Denn was ist der Container zu Hürth denn anderes als ein modernes Monasterium, das Häuflein der Zehn ein neuer Orden (und da herrscht bekanntlich ja auch Schwund, sodass Kleinklöster mit nur kleiner Mönchschar keine Seltenheit sind). Und hat der ummauerte Garten nicht etwas von Kreuzgang, das „Back to Basic“-Konzept nicht etwas vom Gelübde der Armut, die strikte Befolgung der Aufgaben etwas vom strengen Gehorsam IHM ergebener gläubiger Menschen?

Überhaupt die Aufgaben an die Brüder und Schwestern drinnen, sind sie wirklich so weit entfernt von den Ritualen des klösterlichen Lebens? Und doch herrscht schnöde Ungleichheit: Denn hat man je von einer Landesmedienanstalt oder gar einem Medienbischof gehört, der gegen die Vigilien und Frühgebte in Maria Laach, Andechs oder anderswo ins Feld gezogen wäre? Eben. Und bei dem bisschen unter der Bettdecke dürfte selbst der Zölibat nicht ernsthaft angekratzt worden sein.

Dafür diese Grundehrlichkeit: „Zeig mir dein Gesicht. Zeig mir, wer du wirklich bist“, genau das fordert ER von uns. Natürlich ist „Big Brother“ eher katholisch als evangelisch – schließlich reden wir in und um Köln über das reichste Bistum der hlg. apostolischen Kirche in Deutschland. Deshalb auch die Einzelbeichte, deshalb die Exerzitien an den Fitness-Geräten. Auch die Sauna in der aktuellen Staffel zeugt nicht, wie Abtrünnige behaupten, vom heutigen Schnick und Schnack der beiden großen Konfessionen. Den gibt es, Gott sei’s geklagt, natürlich. Doch die Schwitzbude von Hürth ist doch wohl eher ein reinigendes Purgatorium auf kleiner Flamme, aus dem die Brüder und Schwestern geläutert und in Demut hervortreten.

Verwässerung der reinen Lehre hätten die Schöpfer von „Big Brother“ auch nie geduldet. Nicht John de Mol, der den Namen Johannes des Täufers trägt, nicht Joop van den Ende, der nach dem gebeutelten Hiob des Alten Testamentes geheißen ward.

Auch der erste glückliche Gewinner hieß nach dem Evangelisten Johannes. Und wir fragen uns nur das Eine: warum fliegen eigentlich die Orthodoxen immer so früh raus?