Lira-Sturz verunsichert Türken

Wirtschaftsexperten glauben, dass der IWF mitverantwortlich für die Finanzkrise sind

ISTANBUL taz ■ Die Türkei steht unter Schock. Seit die Währung in der Nacht auf Donnerstag rund 30 Prozent ihres Wertes verlor, können die meisten Menschen noch nicht begreifen, was passiert ist. Während das Geschäftsleben fast still steht, erleben die staatlichen Banken, über die die Renten ausgezahlt werden, einen Ansturm. Die Ziraat-Bank wollte gestern schon keine größeren Beträge mehr rausgeben, und auch die Geldautomaten wurden nicht mehr aufgefüllt. Mehr als umgerechnet 300 Mark gab es an kaum einer Bank.

Viele türkische, aber auch internationale Wirtschaftsexperten machen den Internationalen Währungsfonds mitverantwortlich für das Desaster. Weil der die Wirtschaftsdaten falsch eingeschätzt habe, habe er Druck auf die türkische Regierung ausgeübt, die Inflationsrate künstlich zu senken, so dass die Lira überbewertet gewesen sei. Die Zeitung Milliyet fordert gar den Rücktritt von IWF-Vize Chef Fischer, der die Verantwortung für die „Operation Türkei“ trägt. Der IWF will nun ein Expertenteam in die Türkei schicken, um die Situation neu zu bewerten. Der IWF hatte sich im Herbst 2000 verpflichtet, das Reformprogramm der Türkei mit insgesamt 11,4 Millarden Dollar zu unterstützen.

Die Regierung Ecevit, der vorgeworfen wird, die Kontrolle über die Finanzen längst an Washington abgegeben zu haben, machte auch bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach der Wechselkursfreigabe eine schlechte Figur. Der am Rande der Panik stehenden Bevölkerung erklärte Ecevit nur, das Reformprogramm werde weitergehen. Dabei ist für jeden offenkundig, dass das keinesfalls so sein wird. JÜRGEN GOTTSCHLICH