Später Lohn für alte Kämpfe

Ein Berliner Hotel geht gegen die „Karnevalisierung“ der 68er-Debatte vor: Mit einem „Besetzer“-Wochenende inklusive Spurensuche am Dutschke-Grab und Pflastersteinen als Betthupferl

von NICOLE MASCHLER

Damit hat auch Udo Joel nicht gerechnet: dass ihn 68 einmal für höhere Weihen auszeichnen würde. „Früher hab ich gekämpft, jetzt lass ich mich dafür verwöhnen“, sagt er. Die Münchener Kette „DeragHotel und Apartment-Residenz“ lud am vergangenen Wochenende Altrevoluzzer zum Revival nach Berlin. 60 Ehemalige kamen zum Gratis- Kurzurlaub ins Hotel „Henriette“ nach Mitte.

Einlass erhält nur, wer zuvor seine Vergangenheit als Aktiver belegen konnte – mit Fotos oder Zeitungsausschnitten. Während es sich die 68er im roten Plüsch bequem machen, begrüßt Junior-Chef Max-Michael Schlereth die „lieben Hausbesetzer“. Schlereth, Jahrgang 1972, hatte die Idee zum Revoluzzertreff. Die „Karnevalisierung der Politik“, sagt er mit ernster Miene, habe ihn geärgert. Lautes Gelächter. Das Ganze sei nicht bloß ein PR-Gag, beeilt sich Schlereth zu versichern und erzählt von der „negativen Resonanz“, die die Marketingidee bei einigen Geschäftspartnern hervorgerufen habe. Wie er eine Generation würdigen könne, die den Marxismus auf ihre Fahnen geschrieben hatte, musste er sich anhören. „Doch“, sagt Schlereth, „es geht hier gar nicht um links oder rechts“.

Hans-Hermann, graue Mähne und Rauschebart, ergreift das Mikro und wendet sich an die „letzten umherschweifenden Haschrebellen, die Mescaleros und die Mitglieder diverser K-Gruppen“. Er erzählt von Kinderläden und „luxurierenden Studiengängen“, von Franz-Josef Degenhardt und „Bürgerrecht auf Bildung“. Die Kameras drängen sich. Kulturrevolution und Hochschulstreik als Showeinlage.

68 hat Konjunktur, und so ist die Hotelbesetzung für alle Seiten ein gutes Geschäft: für die Münchener Hotelkette, die erst vor drei Jahren begonnen hat, ihre Aktivitäten bundesweit auszudehnen, für die Medien, die eine gute Story wittern – und für die 68er, die sich ihrer Geschichte versichern dürfen.

„Ich war ein subversives Element“, sagt Udo Joel. Nach der Schule ging er, gerade 20 Jahre alt, 1966 zum Bundesgrenzschutz. Ein Fehler, wie sich bald herausstellte. Die Truppe trug noch die Stahlhelme der Wehrmacht, und auch sonst herrschte der alte Geist weiter. Aufgelehnt habe er sich immer wieder. Gegen lähmende Strukturen und falsche Autoritäten. Heute sitzt er im Vorstand der „Gesellschaft gegen psychosozialen Stress und Mobbing“. Macht kaputt, was euch kaputtmacht – die Parole von damals gilt ihm immer noch. Den Medienrummel nimmt er gelassen. „Ich hab gelernt, aus jeder Situation das Beste zu machen.“ Und vielleicht, sagt er, komme er mit Gleichgesinnten ins Gespräch.

Draußen vor dem Hotel steht Kurt Holl. „Nein“, sagt er und klingt ehrlich empört, „da geh ich nicht rein.“ Holl ist an diesem Wochenende von Köln nach Berlin gefahren, um dem Fasching zu entkommen – und dann das. Gerne hätte er ein paar alte Genossen aus SDS-Tagen getroffen. Doch das, sagt er und zeigt auf das Plakat über dem Hoteleingang, sei „einfach peinlich“. Dort heißt es in großen Lettern „Dieses Hotel ist von 68ern besetzt“.

Den „Besetzern“ hingegen ist nichts peinlich. Bis 5 Uhr morgens sitzen sie an der Hotelbar. Beim Zubettgehen finden sie in Zellophan eingeschweißte Pflastersteine und eine 68er-Broschüre auf ihren Kopfkissen.

Am Samstagmorgen steht Spurensuche auf dem Programm: ein Besuch der „Story of Berlin“ und eine Rundfahrt mit dem Bus. Die Frau von „Stattreisen“ hat zwei Routen im Angebot: einen Schnellkurs in Sachen Studentenrevolte mit Fahrt über den Ku’damm, kurzem Zwischenstopp an der Deutschen Oper mit Benno-Ohnesorg-Gedenkstein und Abschluss am Springer-Hochhaus. Oder die Langfassung: FU, Otto-Suhr-Institut, Audimax, Dutschke-Grab und auf dem Rückweg am einstigen Klassenfeind vorbei. „Leider können wir das jetzt nicht basisdemokratisch abstimmen“, sagt die Stadtführerin. Schweigen. „Also nehmen wir Route zwei“, bestimmt sie schließlich. Kein Protest.

Allein, der Motor streikt. Eine Starthilfe muss her. Der Bus springt zwar wieder an, aber es lässt sich kein Gang mehr einlegen. „Sabotage“, sagt einer. Lachen. Schließlich befreit ein Techniker die verhinderten Revoluzzer.

Einen 68er-Trip hat „Stattreisen“ normalerweise nicht im Programm. Es sei sehr schwierig, den Leuten die Zeit zu vermitteln, sagt die Führerin. Im Stadtbild sei das Gedenken nicht in Stein gegossen. „Wir haben eben keine Spuren hinterlassen“, witzelt einer. Nur sein Nachbar lacht leise.

Der Bus fährt den Ku’damm hinunter, wo einst der SDS sein Hauptquartier hatte, weiter zum OSI, wie das politikwissenschaftliche Institut von den Studenten liebevoll genannt wird, zum Dahlemer Friedhof. Hinter der Kapelle liegt das Grab von Rudi Dutschke. Ein wenig ratlos steht die Gruppe um den schmucklosen Stein.

Zurück im Hotel steht erneut Besinnliches auf dem Plan: „68er Revolution – was war, was ist, was kommt?“ Gekommen ist nun auch Kurt Holl, der Vorsitzende des Vereins „Roma“, der sich am Vortag noch verweigert hatte. Er erzählt von den alten Tagen als SDS-Führer in Köln. Erst gestern habe er mit einem Genossen von damals darüber gesprochen, wie sie mit Stasi-Mitarbeitern unter dem Springer-Hochhaus standen, um das Toilettensystem lahmzulegen. „Denen sollte die Scheiße auf den Fluren entgegenquillen“, sagt er lachend. Die Aktion scheiterte – aus technischen Gründen.

„Was haben Sie denn noch so angestellt?“, fragt der Moderator. „Wann, danach oder überhaupt?“, fragt Holl suffisant zurück. Der RTL-Mann lacht verlegen. „Gemeint müssten doch eigentlich die jungen Leute sein, die jetzt im Wendland zum Protest aufgerufen sind“, sagt Holl. Und erstmals an diesem Wochenende hat man das Gefühl, dass sich da einer ernsthaft auseinander setzt mit den alten Idealen und dem, was weiterwirkt. „Wichtig ist, dass das hier nicht nur ein PR-Gag bleibt.“ Ein letztes Mal gehen die Kameras ganz dicht ran. Zum Abendessen sind keine Journalisten mehr zugelassen. Ein „thematisches Dinner-Buffet“ verspricht das Programm. Der Moderator dankt artig für die Diskussion, da reihen sich die ersten schon in die Schlange ein. Revolution macht eben hungrig.