DIE BUNDESREPUBLIK UND DIE „INNEREN ANGELEGENHEITEN“ DES IRAN
: Lächeln alleine reicht nicht

Selten wurde ein Staatsgast in Iran so unfreundlich empfangen wie Wolfgang Thierse. Der Besuch sei eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“, schalten ihn die Konservativen. Schließlich hatte der Bundestagspräsident verkündet, die Reise diene der Stärkung der Reformkräfte. Doch auch von denen bekam er nicht nur Nettigkeiten zu hören. Eine weitere Demokratisierung sei zwar wünschenswert, könne aber nicht „von oben verordnet werden“, erklärte Präsident Mohammad Chatami und verdrehte damit die Realität. Schließlich wollen weite Teile der iranischen BürgerInnen mehr Demokratie – was „von oben“ verhindert wird.

Zur geforderten Freilassung der wegen ihrer Teilnahme an einer Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung verurteilten ReformerInnen verwies Chatami auf die „Unabhängigkeit der Justiz“. Das Berliner Mykonos-Urteil dagegen sei politisch motiviert. Absurder geht es kaum – schließlich wurde das Mykonos-Urteil gegen den ausdrücklichen Willen einiger deutscher Regierungsmitglieder gefällt. Die iranischen Urteile sind dagegen eine Kampfansage der konservativen Justiz an die Reformer – und damit auch an den Präsidenten.

Die Äußerungen Chatamis zeigen, wie weit der Schöngeist abgewirtschaftet hat. Vier Jahre nach seiner Wahl ist von den versprochenen Reformen kaum etwas übrig. Fast alle neu gegründeten Publikationen wurden verboten, Studentenproteste blutig niedergeschlagen, Dissidenten verhaftet oder ermordet. Im Juni wird Chatami wahrscheinlich gegen den konservativen Kandidaten Ali Fallahian kandidieren. Wiedergewählt werden wird er bestimmt, denn der ehemalige Geheimdienstminister Fallahian gilt vielen IranerInnen als Verbrecher. In Berlin wurde er als Drahtzieher des Mykonos-Attentats verurteilt. Trotzdem wird die Wahlbeteiligung erheblich niedriger ausfallen als beim letzten Mal – ein Misstrauensvotum der Bevölkerung gegen Chatami. Dem iranischen Präsidenten droht ein ähnliches Schicksal wie Michail Gorbatschow. Sanft lächeln und und über den „Dialog der Zivilisationen“ philosophieren ist eben noch keine Politik – schon gar nicht, wenn diese so brutal ausgetragen wird wie in Iran. Dabei hätte Chatami die seit seiner Wahl wohlwollende Iran-Politik westlicher Regierungen offensiv einsetzen können: Ohne Handel mit dem Westen droht Iran die Pleite. Dabei sind für die Regierung Kontakte zu Deutschland wichtiger als zu jedem anderen europäischen Staat. Die Bundesrepublik ist der wichtigste Handelspartner in Europa – Irans Tor zum Westen.

Dass die Beziehungen dennoch extrem kompliziert sind, hat Geschichte. Zu Zeiten des Schahs versorgte die Bundesrepublik dessen Regime mit Waffen aller Art. 1967 wurde der Diktator in Berlin wie ein Kaiser hofiert. Mitgebrachte „Jubelperser“ droschen auf Schahgegner ein. Auch die Proteste gegen den „Sonnenkönig“ waren streng genommen eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ Persiens. Nur würde das heute keiner der in der Islamischen Republik Herrschenden kritisieren. Denn viele, die damals in Berlin protestierten, gehörten später zu den Anhängern der iranischen Revolution. Erst als sie merkten, dass diese zu einer Gewaltherrschaft führte, wandten sie sich ab.

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass die einstigen iranischen Revolutionäre ausgerechnet Unterstützung bei jenen deutschen Kräften fanden, die nicht gegen den Schah protestiert, ja ihn sogar unterstützt hatten. Hans-Dietrich Genscher reiste 1984 als erster hochrangiger westlicher Politiker nach der Revolution nach Teheran. Ergebnis: Binnen weniger Jahre wurde die Bundesrepublik zu Irans Handelspartner Nummer eins. In Menschenrechtsfragen mischte man sich nicht ein.

Heute regieren in Deutschland Menschen, die von den Anti-Schah-Protesten geprägt wurden. Einige von ihnen drängen nach wie vor auf Demokratisierung und Einhaltung der Menschenrechte. Irans Konservativen gilt das als für sie gefährliche Einmischung. Deshalb wurde Thierse in Teheran so unfreundlich empfangen. Soll nun Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Iran reisen? Sein Vorgänger meinte, wichtig sei, was „hinten rauskommt“. Für Schröder hieße die Mindestaufgabe: Durchsetzung der Freilassung der TeilnehmerInnen der Böll-Konferenz. Auch dem Kanzler wird dies als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ ausgelegt werden. Doch genau die tut angesichts der Menschenrechtslage in Iran dringend Not – genauso wie zu Zeiten des Schahs. THOMAS DREGER