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„Du bist als Vierter dran“

Gleich drei ehemalige Bayern-Spieler gewinnen mit Liverpool das englische Ligapokalfinale. Dabei glänzt Markus Babbel als Außenverteidiger, während Dietmar Hamann einen Elfmeter verschießt

aus Cardiff RONALD RENG

„Geh weiter, geh weiter, denn du wirst niemals alleine gehen.“ Die 30.000 Liverpool-Fans im Millennium-Stadion in Cardiff übertrafen den Lärmpegel eines Nachtklubs, als sie die berühmte Vereinshymne schmetterten: You’ll never walk alone. Aber in diesem Moment stimmte der Refrain nicht mehr. Dietmar Hamann ging alleine. Einsam unter 73.000 Zuschauern schlich Liverpools deutscher Mittelfeldspieler vom Elfmeterpunkt zurück zum Mittelkreis. Jeder Fotograf im Stadion knipste ihn dabei – doch am nächsten Morgen war das Bild in keiner Zeitung zu sehen. Sander Westerveld, der niederländische Torwart des FC Liverpool, hielt zwei Strafstöße beim Elfmeterschießen im englischen Ligapokalfinale gegen Birmingham City, Hamanns Fehlschuss blieb somit unbedeutend.

Mal abgesehen davon, dass der Schütze selbst emotional leicht durcheinander zurückblieb. Glücklich und geschockt stand Hamann eine Stunde nach dem 6:5-Sieg im Kabinengang. Er habe sich ja schon fünf Meter weggestellt, als Trainer Gerard Houllier die Schützen fürs Elfmeterschießen auswählte, erzählte Hamann, aber dann entdeckte ihn der Trainer doch. „Wenn Sie fünf Leute haben, schieß ich nicht“, sagte der Deutsche schnell. „Du bist als Vierter dran“, antwortete Houllier. „Das war’s dann“, sagte Hamann. Er hatte zuvor als Profi erst einmal einen Elfmeter getreten, für seinen ehemaligen Verein Newcastle United, an den Pfosten. Diesmal hielt der Torwart.

Das mühselige Zustandekommen des Sieges erinnerte noch einmal daran, dass Europas erfolgreichster Fußballklub der 80er-Jahre in den jüngsten Wochen zwar endlich wieder die Resultate einer Spitzenelf erzielt, aber noch nicht den Stil einer etablierten Klassemannschaft besitzt. „Wir sind noch nicht so weit, Spiele allein durch Routine zu gewinnen“, sagte Hamann. Wie drei Tage zuvor, beim Triumph im Uefa-Cup-Achtelfinale über Italiens Tabellenführer AS Rom, ließen sie sich auch gegen Birmingham, einen Zweitligisten, in die eigene Spielhälfte drängen, nachdem Stürmer Fowler in der 30. Minute das 1:0 vorgelegt hatte. Birmingham erzwang in der 90. Minute durch einen Foulelfmeter von Purse das 1:1 und die Verlängerung.

Doch nachdem der FC Liverpool zuletzt sechs Jahre ohne eine Trophäe blieb, sind sie nicht wählerisch, wie und welches Silbergeschirr sie gewinnen. Der Ligapokal, nach Meisterschaft und FA-Cup die dritte Spielwiese für englische Klubs, hat im immer dichteren Fußballkalender an Bedeutung verloren. Spitzenklubs wie Manchester und Arsenal London schickten bessere Reserveteams ins Rennen. „Wenn man uns den Cup in den Schoß legt, dann nehmen wir ihn auch“, sagte Außenverteidiger Markus Babbel, der mit Hamann und Christian Ziege das deutsche Aufgebot beim Tabellendritten der Premier League stellt.

„Der erste Cup ist immer der schwerste“, sagte Trainer Houllier, und da war der Pokal schon halb so leicht: Irgendein Spieler hatte im Freudentaumel den Sockel abgerissen. Für sein Team, das Houllier seit zwei Jahren betreut, soll Cardiff der Anfang erfolgreicher Jahre werden. Das Potenzial scheint vorhanden, mit jungen Spielern wie Steven Gerrard, 20, oder Emile Heskey, 23, die die Schlagzeilen ernten, und älteren Kräften wie Hamann und Babbel, die im Stillen Qualitätsarbeit leisten. Nationalspieler Hamann war auch am Sonntag als Abfangdienst vor der Abwehr unbezahlbar, Babbel überrascht als rechter Außenverteidiger derzeit selbst Beobachter, die ihm schon Jahre zusehen: Gegen Birmingham führte er mehrere Vierzigmeter-Dribblings vor, als wolle er Ryan Giggs imitieren. Ziege wurde erst in der Verlängerung eingewechselt, eine Erinnerung, dass er nach mehreren Verletzungen diese Saison zwar auf dem Weg zurück, aber noch nicht wieder in Bestform ist.

„Große Teams siegen aus Gewohnheit. Diese Gewinnermentalität müssen wir noch finden“, sagte Hamann, der wie Babbel und Ziege mit Bayern München Titel einst routinemäßig holte. Für die meisten ihrer Mitspieler dagegen war es der erste bedeutende Gewinn, und entsprechend begeistert fielen sie nach dem Elfmeterschießen über Torwart Westerveld her. Nur Hamann blieb an der Mittellinie stehen. Verwirrt von seinem Fehlschuss bekam er die ganze Prozedur nicht mehr richtig mit. „Ich glaubte, wir müssten noch einen Elfer schießen, und dachte: Jubelt doch nicht jetzt schon. Irgendwann habe ich dann auch kapiert, dass wir gewonnen hatten.“ Dann lief Hamann noch einmal zum Elfmeterpunkt.

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