Schau mir in die Augen, Kleiner!

Iridozyklitis? Wie man auch damit Spaß hat, beschreibt Else Buschheuer in ihrem neuen Roman „Masserberg“

Else Buschheuer ist die, die bei Pro 7 das Wetter ansagt; die sich mit ihrem ersten Buch „Ruf! Mich! An!“ in einem nicht enden wollenden Promotionsfeldzug durch sämtliche Talkshows geschleift hat; die aus dem Osten kommt, sehr gut Witze darüber machen kann und genau das in „Ruf! Mich! An!“ getan hat. Ein böses, über weite Strecken amüsantes, ungewöhnliches Buch war das. Der zweite Streich, hatte die Wahlberlinerin angekündigt, sollte ernsthafter sein. Ein echter Roman.

Das muss ja nicht immer gut gehen. Aber siehe: „Masserberg“ ist ein ernsthaftes Buch. Aber trotzdem durch und durch vergoren mit Buschheuers giftigem Humor. Es spielt 1984, und es geht um Mel, 17 Jahre alt, schwer augenkrank, vorlaut bis zur Beleidigung, altklug, aber auch weise.

Mel sitzt seit Monaten in Masserberg fest, einer riesigen, vorsintflutlichen Augenheilklinik mitten in der thüringischen Provinz. Sie leidet an einer schweren, nahezu ausweglosen Form von Iridozyklitis, ihr linkes Auge ist völlig hinüber. Das rechte schminkt sie jeden Tag in den schönsten Regenbogenfarben, klebt sich dazu mit „Kittifix“ falsche Fingernägel an und wirbelt die Verhältnisse in der Klinik durcheinander.

Sie hat keine Verwandten mehr, nur in sie verliebte, latent marxistisch-leninistische Theorien aussickernde Jünglinge und die Zimmergenossinnen: ältere, eigenwillige Damen mit Augenfehlern und Tics. So stampft sich Mel durch die Erzählung. Der Trott der Klinik mit seinen täglichen schmerzhaften Untersuchungen und den immer wieder neu-grässlichen Therapieversuchen wird unterbrochen, als ein kubanischer Arzt auftaucht, auf den Mel ihr gesundes Auge wirft. Ein feuriges, verbotenes Verhältnis bahnt sich an, es endet dramatisch. Leidenschaft auf Masserberg.

Wie die Augenklinik aussah, kann man auf Buschheuers Homepage bewundern: ein paar echte Postkarten von der echten Klinik, schön verschwommen (eben durch Mels Augen). Buschheuer selbst war Patientin dort, litt im gleichen Alter wie ihre Protagonistin unter einer Augenkrankheit. Und hat sich vielleicht dort genau diese Art von Kaltschnäuzigkeit angeeignet, die sie Mel auf den Leib schreibt.

Ein altmodisches Wort scheint für diese Figur zu passen: Mutterwitz. Mel hat eine große Portion makabren, galgenhumorigen Mutterwitzes. Obwohl sie nicht bei ihrer Mutter, sondern bei der Oma aufwuchs, die sie Queen Mum nannte. Und die für einen der schönsten Sprüche im Buch verantwortlich zeichnete. Queen Mums Ehemann sei kleiner als sie gewesen, erinnert sich Mel, aber zum Thema Größe habe die Oma immer selbstbewusst gesagt: „Hauptsache, es passt in der Mitte.“

Ansonsten beschreibt die traurige, fehlsichtige Arzt-Patientin-Stasi-Liebesgeschichte unprätentiös eine Menge längst vergessen geglaubter Teenie-Empfindungen und veräppelt hübsch ein langsam verschwindendes Ostdeutschland mit seinen Sprachen, Ritualen, Systemen. Eine merkwürdige Erzählung aus einer merkwürdigen Umgebung zu einer merkwürdigen Zeit.

Nur die Klammer, die Buschheuer aus unerfindlichen Gründen um Mels Erlebnisse gelegt hat, die nämlich eine erwachsene Mel rückblickend am Anfang und am Ende erzählen lässt, die ist erstens unglaubwürdig, zweitens stilistisch doof und drittens völlig überflüssig. JENNI ZYLKA

Else Buschheuer: „Masserberg“.Diana Verlag, München 2001,240 Seiten, 36 DM