Revolution, genehmigungspflichtig

■ Eine neue CD schmunzelt sich durch Oldenburgs Geschichte von 1345 bis 1918 und wirft ein neues Licht auf grünen Kohl und rote Revolutionsflagge

Der aufgeklärte Geist der Französischen Revolution wurde bis in die letzten Winkel Europas gepustet, selbst ins ferne Oldenburg. Dort gründete sich 1790 ein „Verein gegen das Hutabnehmen“. Dieser tarnte sein anti-hierarchisches, vielleicht sogar eigentumsfeindliches Ansinnen hinter Vernünfteleien, die zwar harmlos klingen, aber – seien wir ehrlich – unwiderlegbar sind: Das Ritual des Hut-Grußes müsse abgestellt werden, weil – so hieß es – der plötzliche Kälteschock an der Stirn die allgemeine Volksgesundheit gefährden könnte. Außerdem würde das unaufhörliche Hutabnehmen beim Spazierengehen den Spaß an demselbigen vermiesen. Nicht die Rede war hingegen von eventuellen Muskelkrämpfen im Arm.

Die CD „Oldenburg – Vom ersten Grafen bis zum letzten Herzog“ zeigt, wie lustig und aufschlussreich es sein kann, wenn Historiker von der Hochebene staatstragender Geschichtsdaten in die Niederungen des O-Ton-Gewusels hinabsteigen. Besonders amüsant ist der flüchtige, spöttelnde Blick der Durchreisenden – lauter arrogante Snobs. Eine Art running gag vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert ist die gefühllose Denunziation der kohlhaltigen Oldenburger Küche, von der sich mancher Gast verkohlt fühlte, auch wenn das Essen nicht schwarz-verkohlt war. Ein Herr Lipsius beklagt sich 1586, die hiesigen Bäcker seien offenbar von Aussehen und Geschmack der Moorerde inspiriert. Außerdem wäre das Brot so groß und schwer, dass man es nur unter Mühen tragen könne – quasi eine Immobilie. Schon im 19. Jahrhundert fällt den Durchreisenden die spärliche Industrialisierung der Region auf. Allerdings rühmen sie die mustergültige Sozialfürsorge: human trotz Armut, vielleicht noch heute ein Vorbild.

Auch Einheimische haben zu meckern. So hält ein gewisser Herr Schwartz für die Zunft der Pfarrersleut die Kosenamen „Hornochse“ und „Esel“ für geeignet, beschwert sich, dass diese ein lateinisches Requiem nicht ohne Gestottere über den Altar rüberbringen und nutzt so hübsche Reime wie „Büblein-Büchlein“ und „Becher-Bücher“ für die Umschreibung von deren versoffenem, verhurten Lebenswandel.

Verschwiegen werden aber auch nicht die eminent positiven Seiten des Am-Arsch-der-Welt-Daseins. So konnte Herzog Anton Günther die Stadt sicher durch die Wirren des 30-jährigen Krieges schippern. Und in der Zeit des Rheinbundes nutzten ausgefuchste Händler zuhauf die Kontinentalsperre, mit der Napoleon die Briten auszuhungern gedachte, für ein reges Schmugglertreiben.

Im Zusammenhang mit der heutigen Kulturprivatisierungsdebatte ist es vielleicht ganz witzig, daran erinnert zu werden, dass sich in Oldenburg um 1832 ein privates Theater in Form einer Aktiengesellschaft gründete, weil man das lausige Niveau der staatlichen Theater-Darbietungen im fürstlichen Reitstall (sehr modern) leid war. Für die Realisierung technischer Neuerungen fühlte sich damals noch keine staatliche Investitionsgesellschaft zuständig: Es war das Militär – genauer die für die Truppentransporte notwendige Logistik – welche den Bau der Eisenbahnlinie Bremen-Oldenburg erforderlich machte. 1876 wurde dieser „graue Zeitgeist“ mit Pauken und Trompeten vor Tausenden begeisterter Oldenburger BürgerInnen eröffnet.

Am meisten berührt uns Nachgeborene aber immer noch die Momente der Zeitenwende: Schnitt, Ende, Aufbruch – der 9. November 1918. Sehr tolerant und verständnisvoll berichteten die Bremer Tageszeitungen damals über jene Arbeiterdelegation, die höflich den Oldenburger Herzog „ersuchten um Gestattung, die rote Flagge anzubringen“. Es sei schließlich nur zu seiner eigenen Sicherheit. Nach der „Erteilung der Erlaubnis äußerten sie sich sehr anerkennend“ über den Herzog. Und da soll sich heute noch jemand wundern, dass es niemals geklappt hat mit uns Deutschen und der Revolution. Kann ja nicht. bk

PS: Das Theaterkaffee hatte aus einschlägigen Gründen den Spitznamen „Heiratsbörse“ und der Mitte des 19. Jahrhunderts neu errichtete, fehlkonstruierte Lamberti-Kirchturm stürzte dann doch nicht ein, obwohl Spötter nach einem Sturm prophezeiten: „Falls wir ihn nicht runterholen, wird er von selber kommen“.

Isensee Verlag, Oldenbrug DM 29.80