: Schwanensee für den Analytiker
In Laetitia Massons Film „Love Me“ schwebt Sandrine Kilberlain per Ohnmacht durch Zeit, Raum und Memphis
Rosa ist gut füs Hirn – sagt schon Barbara Cartland, die seit Jahren keine andere Farbe mehr am Leib trägt und über nichts anderes mehr in ihren unzähligen Liebesromanen schreibt. Schweben in Rosa. Keine Frage der Wirkwahrnehmung, sondern einfach der inneren Einstellung.
Auch Gabrielle Rose (Sandrine Kilberlain) schwebt. Mit rosa Wangen, im rosa Hängerchen und mit einer rosa Federboa um ihren langen Hals. Wie ein Schwan, an dem hin und wieder die Welt der Tatsachen rupft und zerrt, bis er abstürzt, kollabiert und in der nächsten Parallelwelt die Augen aufschlägt.
Denn Ohnmacht dient in „Love Me“ als praktische Passage durch Zeit und Raum. Sie bringt Gabrielle zu einem Gemisch aus Traum und Vergangenem, zu sich selbst als 15-Jährige, die von einem ominösen Mann mit Knarre und Psychiatergesicht eines Tages aus dem Waisenhaus abgeholt wird. Und später zu ihrem Idol Lennox, einem abgetakelten Rockstar.
Dank regelmäßiger Kollapse, die die Imagination beflügeln, kann Gabrielle beinahe gleichzeitig in einem Wohnwagen in Frankreich am Strand leben oder durch Memphis irren. Auf der Suche nach ihrem privaten Graceland mit Lennox (Johnny Hallyday) an ihrer Seite als Vater, als Geliebtem und vor allem als Star. Auch wenn Gabrielle die Vorzüge ihrer Liebe mit brennendem Blick und erstaunlicher Hartnäckigkeit zu vermitteln weiß – Lennox will sie nicht. Zu kompliziert, zu verhuscht, zu kompromisslos.
Aber in „Love Me“ ist der Weg, ist die ungebrochene Hingabe das Ziel. Auch für verwirrte Schwäne, die nicht mehr wissen, wo und unter welchen Namen sie einmal losgeflogen sind. Bis der Onkel Seelendoktor am Ende Gabrielles lästige Alter Ego wegballert, die Jungmädchenzimmer der Neurosen durchgelüftet sind und der Schwan zur Landung ansetzt.
„Wenn Sie es nicht verstehen, ist das normal, wenn Sie verloren sind, ist das normal ... Lassen Sie sich gehen, lassen Sie sich mitreißen. Lassen Sie sich von Ihren Gefühlen leiten“, tröstet und berät die Regisseurin Laetitia ihr Publikum. Sie will das Kino als Seelenreise. Als dunklen Ort der Verführung und der Suggestion. „Love Me“ als Traum zu sehen und alle Linearität und Logik in den Wind zu schreiben – kein Problem und streckenweise auch großes Vergnügen, vor allem wenn recht manierierte Angelegenheiten reduziert und ironisch abgehandelt werden. Mit einem Lied, einem Knicks vor unsichtbaren Fans oder einfach einer Naheinstellung von dem wunderbar traumverlorenen Gesicht Sandrine Kilberlains. Käme einem da nicht die überdeutliche Symbolik des Films immer wieder in die Quere.
Da werden Metonymien geschnitzt, bis sich alles schon allzu sinnvoll fügt. Als käme die versprochene Seelenreise nicht ohne eine geschwätzige Reiseleitung aus. Da predigt der Psychiater im Fernsehen zu Gabrielle im Wohnzimmer: „Die Liebe ist nicht wirklich. Wir brauchen sie trotzdem.“
Der Analytiker als Scharfschütze und Ersatzvater hat auch das letzte Wort. Den letzten Blick haben Gabrielle und ein Matrose in Taipeh. Eine neue Liebe in einem neuen Leben – ohne Schwan.
Mit „Love Me“ verabschiedet sich Laetitia Masson von der Linie ihrer frühereren Filme „Haben (oder nicht)“ und „Zu Verkaufen“. Verband sie hier noch mit Godard’schem Duktus Liebe, Arbeit und Kino und konfrontierte sie in sorgfältiger Dialektik mit ihren Gegenstücken, geht es in „Love Me“ um das Kino eines Innenlebens. Von der sozialen Kälte im Spätkapitalismus gibt es hier nur noch rosafarbene Reflexe.
Die Ökonomie der Gefühle, die sich Heldin France in „Zu Verkaufen“ von jedem Mann noch mit Barem auszahlen ließ, ist dem Liebeswillen in Rosa gewichen. BIRGIT GLOMBITZA
„Love Me“. Regie: Laetitia Masson. Mit Sandrine Kilberlain, Johnny Hallyday u. a. Frankreich 1999, 105 Min.
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