Buddhas mit Schlafsack

Weil Kunst vom Gehen kommt: Das Haus am Lützowplatz stellt jetzt das „Santiago de Compostela Projekt“ der HdK-Klasse von Rebecca Horn aus. Die Mühsal des Weges bringt die Läuterung der Kunst

von MICHAEL NUNGESSER

Zehn Tage lang und über 250 Kilometer war Patricia Hoeppe zu Fuß unterwegs: Ausgerüstet mit einem Kehrbesen, mit dem sie ständig in gleichmäßigem Rhythmus den Weg fegte. Auch Barbara Ueber suchte auf ihrer Wanderung den direkten Kontakt. Sie küsste rund 50 Objekte: Brot, Blumen, Bäume, Schädel ... Die auf Reinigung und Läuterung abzielenden Aktionen beider Künstlerinnen verdeutlichen exemplarisch ein Projekt, das die Erfahrung von Zeit, Raum, Bewegung und Körper artikuliert. Es ist das „Santiago de Compostela Projekt“, das die an der Hochschule der Künste lehrende Rebecca Horn im letzten Sommer mit ehemaligen und jetzigen Studierenden durchgeführt hat. Die Ausstellung steht in einer Reihe im Haus am Lützowplatz, die Lehrende und Lernende zusammenbringt.

Einzeln oder in Gruppen begaben sich die 14 Künstlerinnen und Künstler auf den Pilgerweg nach Santiago de Compostela in Galizien. Die Stadt im obersten Nordwesten der iberischen Halbinsel ist seit Mitte des 11. Jahrhunderts einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte der Christenheit. Aufgrund der Legende soll sich dort das Grab des Apostels Jakobus d. Ä. befinden. Für die Künstler führte die symbolisch als „Weg des Lebens“ zu verstehende Pilgerstrecke nach innen und regte zu existenziellen Standortbestimmungen im Medium der Ästhetik an. Rebecca Raue schildert ihre Erfahrungen: „Anfangs habe ich gekämpft. Jetzt merke ich, wie reinigend dieses Laufen ist. Ich sehe Sachen, die ich noch nie gesehen habe. Ich erinnere mich an meine Träume.“

Die künstlerischen Ergebnisse sind Spurensicherung, Performance, Installation, Video. Adrià Julià Marques verdichtet seine Eindrücke in einem memorierenden Stakkato aus Worten: „Eukalyptusbäume/ galizische Brottaschen/ Nieselregen/ mein Rucksack ...“ Während Katinka Pilscheur aus gesammelten Erden und gemahlenen Steinen verschiedenfarbige gebrannte Kacheln als Erinnerungsspur aufreiht, hat Nina Rhode Dinge und Situationen, die ihr auf der Reise begegneten, in ihr weißes, selbst genähtes Reisekleid als feinliniges Mandala eingestickt. Ganz vom Unterwegssein geprägt ist die auf ästhetischen wie praktischen Nutzen gerichtete Arbeit von Janusch Bombosch. Sie entwickelte aus multifunktionalen Kleidungsstücken eine „Grundausstattung“, bei der Mantel, Tasche, Schlafsack und Zelt aus einem Stück hervorgehen. Eine Kluft, in der „man sicher und geborgen“ ist, „andererseits angeregt, kräftig und gesammelt“.

Viele Arbeiten kreisen um das besondere Körpererlebnis des Wanderns. Auf die Mühsal des Weges spielen die aus Cordhosen genähten ausgestopften „Steine“ von Martina Schmücker an; man kann sich dazwischen legen und via Kopfhörer akustisch auf Reisen gehen. Ein ergänzender Dokumentarfilm von Rodrigo Barnert zeigt Aktionen vor Ort und lässt die Künstler in Interviews zu Wort kommen. Zuletzt sieht man Hoeppe, wie sie den Besen beim nahe Santiago gelegenen Finisterre – einst zum „Ende der Welt“ deklariert – in den Atlantischen Ozean wirft. Sie will keine neuen Reliquien schaffen. Was bleibt, ist die Kunst.

Bis 11. 3., Di – So 11 – 18 Uhr, Haus am Lützowplatz 9; Katalog: 20 Mark