: Sechzig Herren, vierzig Damen
Die „tollen Müller-Touren“ in Münster sind Branchenführer im Geschäft der Clubreisen. Ein Gespräch mit dem Unternehmensgründer und Geschäftsführer Heinz Müller über das Gute-Laune-Geschäft und die Weisheit von Männer-Frauen-Quoten, über den Konsum von Alkohol, die Vorlieben von Kegelclubs und den legendären „Sauerlandstern“
Interview GÜNTER ERMLICH
taz: Seit dreißig Jahren sind Sie Spezialist für Clubtouren mit Gute-Laune-Garantie. Was brachte Sie dazu?
Heinz Müller: Ich komme eigentlich aus der Hotellerie und habe Hotelkaufmann gelernt. Auf der Hotelfachschule in Dortmund sagte mir ein Lehrer: Herr Müller, Sie müssen in den Fremdenverkehr! Ich habe auf ihn gehört und mit großem Erfolg sieben Jahre das Fremdenverkehrsamt in Brilon geleitet. Da gab es einige spektakuläre Aktionen . . .
Welche zum Beispiel?
Zum Beispiel das Müller-Festival. 1969 kamen dreitausend Müllers aus aller Welt ins Sauerland und haben ein Wochenende verlebt mit einem Nur-Müller-Programm. Alle Akteure waren Müllers.
Da haben Sie ja einen richtigen Mega-Event produziert, lange bevor der Begriff zur Erlebnisformel und zum Wortgeklingel wurde.
Die Aktion ging wirklich rund um die Welt. Radio und Fernsehen berichteten darüber von Australien bis was weiß ich wo. Eine Wahnsinns-PR-Kampagne, die sich irgendwann verselbstständigt hat. Danach habe ich ein neues Produkt gemacht, eine Clubreise nach Brilon.
Wie sah das Programm aus? Ging die Lucie damals auch schon ab?
Das Programm hieß „Vereinsausflug mit Pfiff“: Gemeinsames Abendessen, Sauerländer Bachforelle, anschließend gemütliches Beisammensein, Gelegenheit zum Tanzen. Stadtführung, dann wieder Essen, Busrundfahrt, Besichtigung, großes Wildbretessen, Besuch des Kurkonzertes, zünftiges Spießbratenessen. Ein Drei-Tage-Arrangement für 52 Mark in der Pension. Damit war ich etwas unkonventionell und unbeliebt in der Branche.
Das verstehe ich nicht.
Die Fremdenverkehrsbüros und Kurverwaltungen lebten aus der Vergangenheit, während ich mit knapp dreißig Jahren zielgruppengerechte Marketingaktionen machte. Da sprangen alle Journalisten drauf. Auf einmal war Brilon das Zentrum des Fremdenverkehrs in Deutschland.
Ausgerechnet Brilon! Warum wurden Sie dann selbst Veranstalter von Clubreisen?
Ich sah in Brilon keine großen Entwicklungsmöglichkeit mehr. In Münster, meiner geliebten Stadt, sprang ich dann ins kalte Wasser und machte mich selbstständig. Es begann in meinem Wohnzimmer. Mit null Mark.
Gab es vorher schon Clubreisen?
Die Ursprünge lagen in den Fünfziger-, Sechzigerjahren mit den Kegeltouren, Rhein-Ahr-Mosel, sonst gab es nichts.
Clubtour gleich Kegeltour gleich Sauftour?
Jaja, jaja.
Kegelbrüder haben nicht gerade den besten Ruf. War es schwierig, Ihr neues Produkt, die Clubtour, auf den Markt zu bringen?
In den Anfängen wollten Reisebüros unser Produkt nicht verkaufen. „Das ist nicht gut genug und unter unserer Würde“, sagten sie. Auch die Hoteliers haben die Nase gerümpft. Aber ich habe durchgehalten. Heute ist das kein Thema mehr, im Gegenteil.
Im Gegenteil?
Heute gibt man sich bei uns die Klinke in die Hand. Wir müssen sogar Vertriebsmöglichkeiten ablehnen. Auch Angebote von Hotels der absoluten Luxuskategorie müssen wir ablehnen, weil die nicht zu unserer Zielgruppe passen.
Die Vereinsmüllerei auf Reisen haben Müller-Touren fest im Griff. Alles Müller, oder was?
Ich glaube schon, dass die Müller-Touren ein Synonym für Clubreisen geworden sind. Wir sind heute mit Abstand der größte und bekannteste Veranstalter.
Sie nennen sich „die tollen Müller-Touren“. Was ist so toll an den Touren?
Wir bieten nur Häuser an mit einer guten Infrastruktur für den Gast. Das Wochenende ist von Anfang bis Ende komplett organisiert, ein eigener ausgebildeter Reiseleiter ist rund um die Uhr vor Ort, wir überlassen nichts dem Zufall und stellen selbst die Band ein, die abends im Hotel spielt. Und es kommt auf die Gruppenzusammensetzung an. Jeder muss seinen Tanzpartner finden.
Was heißt das?
Wir achten darauf, dass möglichst sechzig Prozent Herren und vierzig Prozent Damen vor Ort sind. Im weitesten Sinn sind das ja Partys, die wir jedes Wochenende veranstalten. Wir sind wahrscheinlich der größte Partyanbieter in ganz Deutschland. Da muss ein ausgewogenes Verhältnis im Alter und im Geschlecht sein.
Sechzig Männlein, vierzig Weiblein. Das ist fast eine Quotierung wie bei den Grünen.
Das Verhältnis kann auch fifty-fifty sein. Aber ein paar Männer mehr sind besser, weil nicht alle Männer tanzen, ja?! Die Frauen aber alle. Die abendliche Veranstaltung mit Tanzen ist schon sehr wichtig, da kommt auch der Kontakt für die Tagesveranstaltungen auf.
Schon bei der Anmeldung steuern Sie gezielt die Teilnehmerkontingente getrennt nach Frauen und Männern?
Ja, weil die Erwartungshaltung der Gruppen so ist. Wenn Sie in einer Herrengruppe sind und machen einen Ausflug, dann erwarten Sie doch, dass es auch lustig ist, man ein bisschen flirten kann, auch tanzen. Wir sind oft belächelt worden, auch in der Branche. Jetzt ist diese Praxis selbstverständlich.
Haben auch Abstinenzler eine Chance, mit Müllers auf Tour zu gehen?
Das liegt an jedem selbst. Nein, im Ernst: Vor fünfzehn, zwanzig Jahren stand der Alkohol im Vordergrund. Früher hatten wir, offen gestanden, Probleme mit Gruppen, die viel Alkohol getrunken haben. Da wurde in den Hotels schon mal eine Tür eingetreten.
Und heute bleibt sie heil?
In den letzten zehn Jahren ist der Alkoholkonsum auf Clubtouren mit Sicherheit um fünfzig Prozent zurück gegangen. Heute will die Gruppe Erlebnisse haben, kulturelle Angebote, sportliche Veranstaltungen und abends ein Programm mit Bands und Shows. Ganz früher, bei den Touren auf Rhein-Ahr-Mosel, gab es nur Wein. Kein Programm, keine Infrastruktur. Heute wird den Leuten auf so einer Reise unheimlich viel geboten. Natürlich gibt es noch immer einen Teil der Zielgruppe, die den Alkohol in den Vordergrund stellt.
Welche Art von Gruppen fahren bei Ihnen mit? Nur der Kegelverein oder auch der Romméclub und der Verein der Zierfischfreunde?
Etwa zwei Drittel sind Kegelclubs. Man hat immer gedacht, die Kegelclubs sterben aus, aber es wachsen immer wieder neue nach. Das Durchschnittsalter der Kegler liegt konstant bei vierzig Jahren.
Bei Clubtouren muss der Spaßfaktor hoch und die Unterhaltung nonstop sein. Ein immenser Leistungsdruck.
Wenn Sie mal ehrlich sind: Auf einem Fest zu Hause würden Sie gerne mal auf dem Tisch tanzen, aber das geht nicht, da sind Sie immer in Zwängen eingebunden: Der guckt, der guckt. Wir befriedigen mit unserem Angebot das Urbedürfnis, dass man mit Gleichgesinnten eine Party feiern kann, ohne auf irgendjemand oder irgendetwas Rücksicht nehmen zu müssen.
„Du bist nicht allein“ von Roy Black könnte also das musikalische Motto der Clubtouren sein?
Sie brauchen für dieses Produkt einfach eine gewisse Größenordnung. Der Kunde erwartet, dass da, wo er hinkommt, mindestens zweihundert Personen sind.
Für eine Riesengaudi ist der legendäre „Sauerlandstern“ in Willingen die richtige Adresse. Der „Stern“ gilt als der Star unter den Clubhotels. Wein, Weib und Gesang bis zum Abwinken?
Das Konzept des Sauerlandsterns ist ein sehr wirtschaftliches für einen Hotelbetrieb: Während der Woche nur Tagungen und Kongresse, am Wochenende das Clubgeschäft, in den Ferien Urlaubsangebote. Ich sage immer: Wer negativ über den Sauerlandstern spricht, der ist nie da gewesen. Wenn an einem Wochende 1.400 Personen dort sind, ist es natürlich laut.
Was da aber sonst alles passieren soll . . .
Ich kenne den Sauerlandstern seit 25 Jahren und kann Ihnen versichern: Das ist alles Quatsch. Natürlich gibt es einzelne Minderheiten, die ausflippen, aber das gibt es am Wochenende auch in Münster oder in Bochum.
„Ausflippen“ heißt was konkret?
Dass dort Alkohol getrunken und das Thema „Damen und Herren“ immer in eine bestimmte Ecke gestellt wird.
Sie meinen, dass Damen und Herren kreuz und quer in den Betten liegen?
Das passiert dort sicherlich auch. Genau so wie im Hotel in Bochum oder Münster oder auf Norderney oder im Allgäu. Geht ein Prozent der Gäste auf einer Clubtour fremd, gibt es natürlich im Sauerlandstern mit 1.400 Betten zahlenmäßig mehr als in einem Hotel mit fünfzig Betten.
Zweifellos, ein Problem der großen Zahl. Trotzdem: Der Mythos Sauerlandstern lebt.
Von diesem Mythos lebt der Sauerlandstern sehr gut. Die wollen das auch gar nicht abstellen. Sie vermeiden aber inzwischen, dass die Medien ins Haus kommen, vor allem Fernsehsender der leichteren Art, weil Redakteure immer ein vorgefertigtes Bild haben.
Auch Ihr Unternehmen nimmt keine Journalisten mehr mit auf Tour. Was haben Sie zu verbergen?
Wir haben die gleichen Erfahrungen gemacht wie der Sauerlandstern. Da wird sich eine Gruppe, wie vor drei Jahren in Mallorca passiert, raus gesucht, ein bisschen mit Alkohol abgefüllt, behätschelt und betäschelt. So konnten die Journalisten ihr Vorurteil bestätigen und ihren Film drehen: Die benehmen sich nicht, die fallen aus der Rolle.
Aber nicht alle Journalisten pflegen ihre Vorurteile.
Bei dem einen oder anderen Kollegen von Ihnen mussten wir das aber feststellen. Er mag von Hause aus keine Kegelclubs und hat eine vorgefertigte Meinung über diese Zielgruppe: Das sind schlimme und schlichte Menschen. Dabei ist die Sozialstruktur der Kegelclubs ganz gemischt, vom Oberstaatsanwalt über den Förster bis zum Arbeiter. Mit uns fahren auch Golf- und Tennisclubs. Wer nicht in eine Gruppe eingebunden ist, der muss sich doch fragen: Bin ich ein Outsider in dieser Gesellschaft?
GÜNTER ERMLICH ist freier Autor und lebt in Bochum
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