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Breakdance auf Leinwand

Die vier Schulen des HipHop: Der junge afroamerikanische Künstler Sanford Biggers mischt in seinen Installationen Mandala und Mandela oder schaltet Rassismus mit Soundschleifen kurz. Ein Portrait

von THOMAS GIRST

Im New Yorker Galerienviertel Chelsea haben sich mittlerweile auch die großen Namen eingefunden. Zuletzt eröffnete Larry Gagosian seine fussballfeldgroße Ausstellungshalle, in der sich der Young British Artist Damien Hirst austoben durfte. Planmäßiges Aufsehen erregten Künstler und Galerist mit der riesigen, tonnenschweren Bronzeskulptur eines anatomischen Modells mit geöffneter Bauchdecke und zahlreichen Aquarien aus Panzerglas, in denen große Fische um Gynäkologiestühle scharwenzelten. Bei den Künstlerkollegen ließen vor allem die Produktionskosten in Millionenhöhe die Kinnladen scharenweise herunterklappen.

„Ich wüsste sehr genau, was ich mit so einem Budget machen würde“, erklärt Sanford Biggers. Der 30-jährige Afroamerikaner ist auf dem besten Weg zum hoch gehandelten Nachwuchskünstler. Nach längeren Aufenthalten in Florenz, Baltimore, Atlanta, Los Angeles und Chicago sowie einer zweijährigen Studienreise durch Asien ist er nun im Kunstmekka von Manhattan angekommen – mit bescheidener Wohnung in Harlem. Von dort aus knüpfte sich Biggers nur wenige Straßen nördlich der Gagosian-Halle den Kunstbetrieb in Chelsea mit einem unverkäuflichen Werk aus farbigem Sand vor.

„Om“, so der Name der in einer Gruppenschau gezeigten Bodenskulptur, bezieht sich sowohl auf den buddhistischen Laut für perfekte Harmonie als auch auf Graffiti. „Die vier Schulen des HipHop sind Breakdance, Rap, DJing und Graffiti. Für das ,Om‘-Symbol aus Sand wählte ich grelle Farben, die auf U-Bahn-Waggons gut aussehen würden.“ Biggers Kunst mischt Mandalas mit Mandela, „breakdancing B-boys“ mit Bodhisattva. Dabei verkommen seine Werke nicht zum ethnisch angehauchten New-Age-Schmus: „Ich bin an den Schnittstellen verschiedenster Rituale interessiert, am Fetischcharakter von Objekten. Und daran, wie eine Kultur sich der anderen bedient.“ Biggers’ Werke wollen Mikrokosmen beherbergen: Auf von ihm entworfenen Matten für Breakdance-Festivals erinnert die weiß gesprenkelte Maserung auf schwarzem Grund an entfernte Galaxien. Wenn er die Matten später für Installationen nutzt, bleiben darauf die Spuren der Tänzer sichtbar. Die begehbare Bodenskulptur „Om“ wurde dagegen nach Ablauf der Ausstellung einfach zusammengekehrt. Jetzt wartet Biggers auf den geeigneten Augenblick, den Sand in einer weiteren Performance zu verstreuen.

Amerikas neuer Präsident mag ihm dazu vielleicht den Anlass geben. In seiner Rede zum Amtsantritt sprach George W. Bush kürzlich von Amerika als dem Land, das als ehemalige „Sklavenhalter-Gesellschaft jetzt zu einem Diener der Freiheit“ geworden sei. (Da macht es nichts, dass Bush Jr. mit Richard Ashcroft einen früheren Befürworter der Rassentrennung als Justizminister vereidigen ließ.) Dass die Wunden allen Schönwetterreden zum Trotz noch offen liegen, macht Biggers in seiner Kunst deutlich, die er auch als Vermittler von Historie verstanden wissen will. „Bittersweet the Fruit“ von 1999 gedenkt des Schwarzen James Byrd, der im selben Jahr von drei johlenden Texanern auf seinem Nachhauseweg überfallen, an die Stoßstange ihres Pick-up-Trucks gebunden und zu Tode geschleift wurde.

Für die Installation lässt Biggers an einem abgestorbenen Baum Kopfhörer von den Ästen baumeln, deren lange schwarze Kabel an Seile erinnern, die zum Lynchen verwendet wurden. Die aus den Kopfhörern tönende Musik korrespondiert mit einem in den Stamm eingelassenen Bildschirm, der den Künstler beim Klavierspiel im Wald zeigt: „Songs of Freedom“ intonierend, dabei nackt wie einst die auf Versteigerungen feilgebotenen Vorfahren.

Auch Biggers weiß, dass Klassenunterschiede in Amerika heute letztlich mehr wiegen als die Hautfarbe allein. Darin stimmt er mit dem in Boston lehrenden Philosophen Noam Chomsky überein, der im Klassendilemma das große Tabuthema amerikanischer Politik sieht. Biggers veranschaulicht das in seinen Arbeiten. Für sein Videoprojekt „Small World“ kollaborierte der aus einer wohlhabenden Familie stammende Künstler schon vor Jahren mit seiner jüdischen Kollegin Jenifer Zalkin. Zwei parallel laufende Videos, zusammengeschnitten aus Super-8-Filmen ihrer Kinderzeit. Zalkin links, Biggers rechts. Hanukkah und Passahfest hier, Weihnachten und Neujahr dort – „Schwarz und Weiß, West- oder Ostküste, Religion. All das spielt keine Rolle mehr. Die amerikanische Mittelschicht ist da absolut austauschbar.“

In „Small World“ heißt der große Gleichmacher Disney. Die Filme enden mit Aufnahmen des voneinander völlig unabhängigen Besuchs beider Familien in Disneyland. „Jeder Mensch auf der Welt geht ins Disneyland. Und Mickey Mouse selbst ist natürlich so Furcht erregend wie sonst nur die Hölle.“ Nach zahlreichen Stipendien bezog Biggers jetzt als Preisträger des „Lower Manhattan Cultural Council“ im 91. Stockwerk des World Trade Center ein Atelier mit Fensterblick. Gute Aussichten für den Künstler. Auf seiner Kühlschranktür in Harlem hat er aus zahlreichen bedruckten Magnetstreifen schon mal Satzbrocken wie „Power Enormous“ zusammengefügt.

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