Joghurt darf nicht beruhigen

Macht Essen gesund? Die Pharmaindustrie verklagt Lebensmittelhersteller, die das von ihren Produkten behaupten. Doch diese wollen mit neuen Gesetzen die Grenze zwischen Medizin und Lebensmitteln aufweichen. Verbraucherschützer haben Bedenken

von RALF GEISSLER

Der Preis klingt unverschämt: 5,79 Mark für einen kleinen Becher Margarine. Wer kauft das schon? „Sehr viele Leute“, sagt Unilever-Pressesprecher Rüdiger Ziegler. „Der Erfolg von Becell Pro aktiv ist riesig.“ Der Grund, warum Verbraucher bereit sind, dafür siebenmal mehr als für andere Margarinesorten auszugeben, steht auf der Verpackung: „Pro activ hilft nachweislich, den Cholesterinspiegel zu senken.“ Pflanzliche Stoffe in der Margarine verhindern angeblich die Aufnahme des Herzinfarkt begünstigenden Cholesterins.

Mehr als die Hälfte der über 45-Jährigen leidet an einem leicht erhöhten Cholesterinspiegel. Daher hat der neue Brotaufstrich einen Riesenmarkt. Gesund werden durch Essen klingt besser als Pillen schlucken. Und genau das ärgert die Pharmaindustrie. Sie schickte Unilever wie allen Firmen, die mit krankheitsvorbeugenden Eigenschaften von Lebensmitteln werben, Abmahnungen mit Verweis auf das Deutsche Lebensmittelrecht. Dort steht: Werbeaussagen, die sich auf eine Verhütung oder Linderung von Krankheiten beziehen, sind verboten.

Doch die Lebensmittelbranche arbeitet hartnäckig daran, das Gesetz zu kippen. Heute trifft sie sich mit Vertretern der Pharmaindustrie, um die Gegenseite von ihren Standpunkten zu überzeugen. „Werbeaussagen über die Reduzierung von Krankheitsrisiken sollten zugelassen werden“, fordert Peter Loosen, Rechtsanwalt beim Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Der Verbraucher habe ein Recht darauf zu erfahren, dass das Kalzium in der Milch das Risiko mindere, an Osteoporose zu erkranken. „Was wissenschaftlich längst bewiesen ist, muss in der Werbung oder auf der Verpackung gesagt werden dürfen.“ Das stärkste Argument der Lebensmittelindustrie: In anderen europäischen Staaten werden krankheitsvorbeugende Werbeaussagen geduldet. Und längst gibt es auch für deutsche Hersteller Schlupflöcher.

So war Unilever der erste Konzern, den die Abmahnungen nicht störten. „Becel pro aktiv ist als erstes Produkt nach der Novel-Food-Verordnung der Europäischen Union zugelassen worden. Und zwar unter der Bedingung, dass wir auf die cholesterinsenkende Wirkung hinweisen“, sagt Pressesprecher Rüdiger Ziegler. Die Novel-Food-Verordnung wurde speziell für Lebensmittel mit Zusatznutzen, dem Functional Food beschlossen. Nach mehrjährigem Zulasungsverfahren ist Unilever aus dem Schneider. Andere, die ihr Produkt nicht haben prüfen lassen, sind es nicht.

Seit zwei Jahren streitet der Pharmaverband Integetas mit der Molkerei Alois Müller um Joghurt. „Müller hat seinem Produkt ProCult Johanniskraut und Melisse beigemischt und bewirbt die beruhigende Wirkung“, schimpft Verbandsanwältin Ruth Ziller. Sie will den Joghurt vom Markt klagen. „Wir sehen hier eine starke Konkurrenz zu Arzneimitteln.“ Während diese aufwendige Zulassungsverfahren durchlaufen müssen, kann Müller seinen Beruhigungs-Joghurt einfach ins Regal stellen.

Die Klagewut der Pharmakonzerne nimmt seit der massiven Vermarktung als probiotisch bezeichneter Joghurts absurde Formen an. So ließ ein Lobbyverband Nestlé verbieten, das Wort „Immunsystem“ auf Verpackungen und in der Werbung zu benutzen, mit der Begründung es assoziiere Krankheiten. „Seitdem schreibt Nestlé Abwehrkräfte“, erzählt Lebensmittelrechtler Loosen. Ihm gefällt ein amerikanisches Modell. Dort erlaubt eine Behörde auf Antrag die Verwendung von krankheitsvorbeugenden Werbeaussagen. Um zu verhindern, dass sich jeder Hersteller seine eigenen Werbetexte ausdenkt, gibt es einen Katalog von elf Aussagen, den Health Claims.

Mit den deutschen Verbraucherschützern ist aber vermutlich noch nicht mal dieses Modell zu machen. „Wir sehen die Gefahr, dass Verbaucher bei krankheitsvorbeugenden Werbeaussagen bestimmte Produkte für unverzichtbar halten, um gesund zu bleiben“, sagt Thomas Isenberg, Lebensmittelexperte beim Bundesverband für Verbraucherschutz. Er will nicht nur das deutsche Gesetz belassen, wie es ist, sondern auch stärkere Kontrollen. „Schon jetzt wird viel Schindluder mit der Angst vor Krankheiten getrieben.“