Bruder Campino
: Lederjacken-Feuer

■ Sekt-Seen im Rathaus: Die „Woche der Brüderlichkeit“ hat begonnen

Die bundesweite Woche der Brüderlichkeit wurde gestern im Bremer Rathaus eröffnet. Das internationale Netzwerk „Schule ohne Rassismus“ bekam die Buber-Rosenzweig-Medaille des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Festredner: Campino.

Auf die Frage von Radio-Bremen-Moderator Andreas Neumann, warum die blonden Haarstacheln plötzlich so schwarz und so müde an die Kopfhaut geleckt sind, meinte der Tote-Hosen-Shouter in die live übertragenden ARD-Kameras hinein: „Was kümmert mich meine Frisur von gestern?“ Der Mann war nicht zu verunsichern durch die eichenhölzernen Geschichtsmassen, Bildchen und Schiffchen über und um ihn herum. Zu seiner Laudatio im Bremer Prunkstübchen trug er aber nicht nur das Haar schwarz. Auch der Rest war schwarz, genau wie beim Vorredner Scherf, allerdings von ledriger, abgeschabter Konsistenz.

Unser Campino bei einem ritualisierten Festakt? Doch, das kann gut gehen. Sehr gut sogar. Er bedankte sich brav für die „Ehre“, involviert zu sein in die Übergabe eines Schriftstücks belobigenden Inhalts. Es entschlüpfte ihm kein jugendsprachliches oder gar jugendgefährdendes Wörtchen; außer einem sehr bewusst gesetztem „cool“: „Es ist cool, Schüler einer Schule ohne Rassismus zu sein, es ist cool..., es ist cool...“ (Tja, die gute alte lateinische Rhetorikschulung.) Will sagen, Campino verzichtete vollständig auf jede Art von Bürgerschreckgetue. Trotzdem gelang es ihm einmal, die anwesenden Politiker zu einem demonstrativen Akt des Nichtklatschens zu bewegen. Da nämlich, wo er als einen von vielen Gründen für die Apathie gegenüber rechter Gewalt die Halbherzigkeit, Halbengagiertheit, Halbehrlichkeit der Politiker nannte, also die „Mantrahaftigkeit“ ihrer „Bekenntnisse zur Demokratie“. Und siehe da: Als er dann dazu aufrief, Ausländer nicht nur zu tolerieren, sondern die multikulturelle Gesellschaft bewusst zu wollen, da wurde unisono geklatscht, auch von denen, die sich nicht mal für eine Tolerierung besonders stark machen.

Die Rede des Altpunks wurde garniert mit Chopin-Nocturnes und dem Hallo-bin-ich-lässig-Rapper Immo: ein wunderbares Beispiel dafür, dass die deutsche Leitkultur an sich verdammt multikulturell ist, was zwar komisch ist – ein Immo und diese vielen steinernen, alten Gesichter – aber auch wunderschön. Zusammen mit Scherfs Warnung gegenüber dem rechten Potenzial „in der Mitte der Gesellschaft“ und den SchülerInnen, die ihrem politischen Anliegen noch ohne Ironie mit ganzem Herzblut nachgehen, war alles dann doch kein mantrahafter Festakt, sondern richtig anrührend. bk