Im Bremer Beinewald

■ So muss es sein: Der Werder-Höhenflug hält an. Freiburg wurde beim 3:1 in Bremen vorgeführt. Von psychologischen Zwängen und zuviel Siegesgewissheit

Sowas gibt's in Bremen doch ziemlich selten: Ein ums andere Mal geht die La Ola-Welle im Stadion rund, die Ersatzspieler werden einer nach dem anderen per Fankurven-Sprechchor zu „Fußballgöttern“ ausgerufen (gleich als erster: Wiedener!), und als fünf Minuten vor Ultimo der Mittelstürmer duschen gehen darf, erhebt sich das ansonsten bekanntermaßen grundvermaulte hanseatische Besserverdiener-Publikum auf der Haupttribüne zu donnernden Ovationen. Für den Mann der Stunde aus der Mannschaft der Stunde: Claudio Pizarro, überragender Techniker, dreifacher Torschütze für einen SV Werder.

Für die Truppe von Thomas Schaaf geht der geradezu schwindelerregenden Höhenflug seit dem Jahreswechsel weiter. 3:1 gegen heillos überforderte Freiburger, der fünfte Sieg im sechsten Spiel des Jahres, 16 von möglichen 18 Punkten sind eingefahren. Abstieg – das war gestern. Heute ist der Spitzenreiter nur sieben Pünktchen entfernt. Die beste Bundesliga-Mannschaft des Jahres kommt von der Weser.

Schaaf hatte exakt das Gewinnerteam vom letzten Betriebsausflug nach Frankfurt wieder auflaufen lassen. Das dampft geradezu vor Selbstvertrauen, während die Freiburger Gemüter dagegen eher ein wenig geknickt waren, und das nicht allein wegen der 0:3-Heimklatsche gegen die 60er vom letzten Wochenende. Die etatmäßigen Stürmer Iaschwili und Sellimi fehlten, was noch zu verkraften gewesen wäre. Nicht zu ersetzen dagegen ist wohl der verletzte Kehl. Er ist Kopf und Herz des Freiburger Kurzpass-Spiels aus einer wohl organisierten Abwehr heraus. Entsprechend kopf- und herzlos agierten die Gäste in Bremen dann auch. Die Abwehr – unorganisiert, das Kurzpass-Spiel – blieb Mal um Mal im Bremer Beinewald hängen. „Der SC ist mit seinen eigenen Waffen geschlagen worden“, analysierte hernach ein hellsichtiger Kollege aus dem Breisgau.

So war's. Werder störte den Geg-ner schon weit in dessen Hälfte, um dann blitzschnell mit verwirrenden Kombinationen die Offensive zu starten. Der Rest ist Psychologie: Die einen sind nach einer Niederlage verunsichert, während die anderen davon ausgehen, dass sie gewinnen, weil sie gerade erst gewonnen haben, und das, weil sie auch davor die Sieger waren. Fünf Minuten konnten die Freiburger mithalten, dann brach Finkes bunte Combo ein.

Bei Pizarros 2:0, als er einen herrenlos quer durch den Strafraum trudelnden Freistoß von Herzog über die Linie drückte, schlief die Freiburger Defensivabteilung gerade so wie schon beim Führungstreffer des Peruaners. Getümmel im Strafraum, Pizarro schaltet am schnellsten, zieht ab, 1:0. Und als direkt nach dem Wiederanpfiff die Freiburger Hintermannschaft den Ball gleich zweimal in Bremer Füße spielte, weil gerade keine eigenen zu finden waren, da war es wieder Pizarro, der erst Golz umfummelte und dann beinahe von der Außenlinie links vom Tor einfach mal abzog – so schnell konnte Kobiashvili gar nicht ausweichen. Eigentlich ein Eigentor.

Dabei konnten sich die Freiburger am Ende des Tages nicht beschweren. Sie hätten auch gut und gerne sechs Gegentreffer kassieren können, derart dominant waren die Hausherren über beinahe die gesamte Spielzeit. Die eher statistisch orientierte Beobachterschar wollte nach dem Abpfiff 28 Bremer Torschüsse gezählt haben, nur sechs dagegen bei den Freiburgern. Allein Ailton vergab drei-, viermal beste Einschusschancen. Und als Werder in der zweiten Halbzeit über gut 20 Minuten die Freiburger unter dem Jubelchor des zahlenden Publikums regelrecht vorführte, da lag es alleine an der überbordenden Bremer Spielfreude, dass der Breisgauer Torsteher Golz nicht häufiger hinter sich fassen musste. Was wieder dem Bremer Trainer ganz und gar nicht gefallen mochte: „Da machen wir noch eine Kombination und noch eine, und die Zuschauer wollen das ja auch sehen“, grantelte Schaaf, „bloß dabei vergessen wir das Toreschießen. Daran müssen wir arbeiten.“

Zumal die Freiburger nach dem Elfmeter von Kobiashvili zum 1:3 doch noch ein Viertelstündchen Druck und dem Trainer Sorgen machen konnten. Unnötig, die Freiburger Zuckungen sind bestenfalls eine Fußnote wert. Und die Frage, was für Werder denn nun eigentlich noch kommen kann, denn bis zum Wochenende konnte sich dieser Gast der besten Abwehr der Liga rühmen. Unschlagbar sind in dieser Saison nicht einmal die Spitzenteams. Wobei solche Fragen noch gar nicht erlaubt sind, wenn es nach dem Trainer geht. Frage von Hansawellen-Reporter Henry Vogt: „Gehe ich recht in der Annahme, über den UEFA-Cup sagen Sie nichts?“ Antwort Thomas Schaaf: „Die Annahme ist richtig.“

Jochen Grabler