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herr hefele kriegt zwei schlussminutenALBERT HEFELE über das Ende des Kolumnismus

Übergabe des Staffelholzes

Irgendwie ist es wie ein kleiner Tod. Die letzte Kolumne schreiben. Keine Missverständnisse: Bekanntlich umschreibt der Franzose mit „kleiner Tod“ was anderes. Untenrum. So ist es nicht gemeint. Mein kleiner Tod will sagen: Abschied. Abschnitt. Das war’s. Vorbei. Übergabe des Staffelholzes. Weitertragen der Flamme. Nun ja. Fritz Tietz. So heißt der andere. Der Neue. Ich kenne Fritz Tietz schon lange. Nicht besonders gut, aber lange. Und schätze seine Arbeit sehr.

Dabei hat unsere Bekanntschaft gar nicht gut angefangen. Eigentlich sogar ziemlich schlecht. Oder wie würden Sie das finden, wenn Ihnen wer Rotwein übers Hemd gießen würde? Genau das habe ich nämlich anlässlich unserer ersten Bekanntschaft mit Tietzen gemacht. Genauer mit seinem Hemd. Das muss so irgendwann Ende der 80er auf einer dieser Titanic-Buchmessen-Feten gewesen sein. Ich war damals noch relativ neu in den Frankfurter Kreisen und wohl aufgeregt, angesichts all der Prominenz und der großen Großstadtwelt. Weil: Ich bin doch aus dem Allgäu und war damals große Menschenansammlungen nicht gewöhnt. Nur Kühe.

Ich stand also rat- und heimatlos inmitten all der Großstädter und schlürfte hektisch Wein in mich hinein, um meiner Beklemmung Herr zu werden, da traten – noch nicht Herr Tietz – zwo griechische Damen auf mich zu und fragten mich – ausgerechnet mich –, ob ich Interesse an einer Gruppensexveranstaltung hätte! Das ist nicht gelogen! Wie Sie sich denken können, habe ich dieses Ansinnen natürlich kategorisch von mir gewiesen. Warum? Weil ich damals noch verheiratet war und außerdem insgesamt ein moralisches Monument bin. Immer. Und: Weil ich mich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass da jemand eine Landpomeranze verarschen wollte.

Jedenfalls trug dieses Intermezzo in keiner Weise zu einer entspannteren Grundstimmung bei. Ganz im Gegenteil: Ich war danach mindestens doppelt so zitterig wie zuvor und dem Wein sklavischer ergeben denn je. Und da muss es dann passiert sein. Ich kann mich ehrlich gestanden nur sehr dunkel an die Situation erinnern. Deutlich sehe ich ein orangenes Hemd vor mir. Dieses Hemd gehörte Fritz Tietz und war auf einmal rot, und zwar von meinem Wein. Wollte ich ihm die Hand reichen oder auf irgendwas hindeuten und hatte dabei die Kontrolle über mein Glas verloren? Habe ich ihm anschließend noch Salz auf Hemd und Wein geschleudert? Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls glaube ich mich erinnern zu können, dass die Stimmung dann etwas getrübt war. Zwischen Fritz und mir. Kann man doch verstehen!

Das ist alles lange her und von meiner Seite – Fritz ich verzeihe dir! – vergeben und vergessen. Fritz Tietz hat in der Zwischenzeit emsig gearbeitet und sich seinen guten Namen als Schreiber redlich verdient. Zeitung, Bücher, Radio, TV. Alles dran. Vor allem aber eine Fähigkeit, die Dinge aus einer ungewöhnlichen und sehr schrulligen Sicht zu betrachten. Das führt dann zu Buchtiteln wie „Und drinnen spielt ein Mongoloidenkapellchen“ und Texten wie diesem: „Bei einem evangelischen Buß-Betgottesdienst in Hörschel/Bayern predigt ein bulgarischer Austauschpfarrer, dass Jesus, würde er heutzutage in Deutschland gekreuzigt, sein Kreuz nicht mehr schleppen müsse, sondern sich einen praktischen Bausatz bei IKEA besorgen könne, der leicht zu transportieren und an Ort und Stelle schnell zusammenzusetzen sei. Auch würde man wohl heute an der Spitze des Kreuzes statt INRI den Schriftzug IKEA befestigen. Unter den Gläubigen kommt es noch während der Predigt zu tumultartigen Szenen. Zwei fallen vom Glauben ab . . .“ Solche Sachen schreibt Fritz Tietz. Und das gefällt mir.

Und Ihnen sicher auch.

PS: Weiter so, Ulla!

Fotohinweis:Albert Hefele, 48, ist Ergotherapeut und schreibt auch weiterhin über fundamentale Dinge des Lebens

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