Staaten sind keine Kugeln

Das Konzept der „transatlantischen Räume“ lässt den nationalstaatlichen Horizont in der Migrationsforschung hinter sich und sollte künftig weitere Verbreitung finden

Mittlerweile setzt sich langsam auch in Deutschland die Erkenntnis durch, dass man sich in den Zeiten zunehmender globaler Verstrickungen von lieb gewonnenen Herder’schen Kulturvorstellungen trennen muss: Kulturen sind keine kugelförmigen, geschlossenen Gebilde. Im Vorwort zum Band „Transstaatliche Räume“ fordert Herausgeber Thomas Faist das Gleiche auch für Staaten ein – die „Staaten-als-Billiardkugeln-Perspektive“ habe ausgedient. Dass der Bremer Politologe vehement den oft genug nationalstaatlich beschränkten Horizont der hiesigen Migrationsforschung überschreitet, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er in Memphis und New York studiert und reichlich auf Englisch veröffentlicht hat.

In den USA wird seit Anfang der 90er über transnationale Felder debattiert – ein Konzept, das Faist weiterentwickelte und nun auf die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei anwendet. Die Ergebnisse der verschiedenen Beiträge ermöglichen eine gelassenere Perspektive auf Integration: Vor allem wird mit dem Mythos aufgeräumt, die Bindungen der Migranten an ihr Herkunftsland seien grundsätzlich ein Hemmnis für das Leben in der Einwanderungsgesellschaft. Von „transstaatlichen Räumen“ zu sprechen, bedeutet zunächst nicht mehr, als die Tatsache anzuerkennen, dass Staaten nicht die einzigen Akteure auf dem internationalen Parkett sind – Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen oder Migranten knüpfen mittlerweile Netze, die von verschiedener Dauer und Konsistenz sein können. In dem Band wird das Konzept auf eine ganze Reihe von aktuellen Themenfeldern angewandt: Wirtschaftsbeziehungen, das „Kurdenproblem“, islamische Organisationen, türkische Medien in Deutschland, Menschenrechte oder Doppelpass. Offenbar haben sich die Autoren gerade Themen mit besonderem Dramatisierungspotenzial gewählt, um mit Hilfe des neuen Konzeptes ein wenig Luft abzulassen.

Bekanntlich wird der islamische Fundamentalismus in Deutschland als besondere Gefahr angesehen. Dabei wird angenommen, dass es in den Islamvereinen tatsächlich gelingt, unter dem Banner der Religion eine Gemeinschaft zusammenzuschweißen und kohärente Politik zu betreiben. Bernhard Trautner zeigt in seinem Beitrag jedoch, dass die Vereine dieses Ziel nicht erreichen. Zunächst machen sich die Dependancen des türkischen Staates sowie verschiedener Parteien und Gemeinschaften gegenseitig Konkurrenz – die Referenzpunkte „Islam“ und „türkische Nation“ sind schwer umkämpft. Zudem werden die Vereine durch ihre Einbeziehung in rechtsstaatliche und öffentliche Prozeduren gegen ihren Willen „ver-zivilgesellschaftet“.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Lars Heinemann und Fuat Kamcili bei der Untersuchung von türkischen Medien in der Bundesrepublik – auch hier werden die Effekte des Heimatbezugs gewöhnlich überschätzt. Das Konzept „transstaatlicher Räume“ macht es offenbar möglich, die Praxis hinter der Rhetorik zu untersuchen. Und die lässt weniger „verlockenden Fundamentalismus“ und andere Entsetzlichkeiten erkennen, als viele immer noch meinen. Dem Konzept wäre daher für die Zukunft eine Erweiterung des Themenspektrums zu wünschen: Auf einen Band über Deutschland und den Balkan etwa darf man gespannt sein. MARK TERKESSIDIS

Thomas Faist (Hg.): „Transstaatliche Räume“, transscript-Verlag, Bielefeld 2000, 430 Seiten, 48 DM