Vieldeutig eindeutig falsch

Reiner Bernstein analysiert die politischen, wirtschaftlichen und ideologisch-religiösen Probleme im Nahen Osten so vertrackt, dass der Rezensent reichlich verwirrt wurde

Der Friedensprozess in Israel und Palästina liegt in Trümmern. Die gespannte Lage im Nahen Osten scheint die Region geradezu zu einem Dauerbrenner für den Buchmarkt zu prädestinieren. Die Versuche von deutschen Autoren, eine brauchbare Analyse der israelischen Politik vorzulegen, scheitern in der Regel daran, dass die Realität in Israel aufgrund der grauenhaften Erfahrungen der Juden nur eingeschränkt wahrgenommen wird. An diesem Manko krankt auch Reiner Bernsteins Buch. Der Autor, Studienleiter an der Melanchthon-Akademie in Köln, hat wegen der heterogenen Literaturlage zwar einen „mehrdimensionalen Deutungsrahmen“ für sein Vorgehen gewählt, stellt aber bereits im Vorwort resignativ fest, „dass unsere Urteilskraft nur bedingt höchst sublime Dispositionen und Verläufe im Nahen Osten erfasst“. Eigentlich keine gute Voraussetzung für einen weitsichtigen Entwurf.

Der Autor hat in sieben Kapiteln versucht, die politischen, wirtschaftlichen und ideologisch-religiösen Verästelungen des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu entwirren. Dies gelingt ihm nur eingeschränkt, weil er keine zentrale These formuliert, sondern nur Zitate und paraphrasierende Verweise unkommentiert aneinander reiht. Dabei kommen auf 218 Seiten Text 63 Seiten Literatur, verarbeitet in 992 Fußnoten. Durch die Aneinanderreihung von Meinungen anderer Autoren entsteht ein disparater Eindruck. Es fällt deshalb schwer, zwischen der Meinung des Autors und den Literaturverweisen zu unterscheiden. Ein roter Faden ist nicht zu erkennen. Am Ende des Buches ist der Leser rat- und orientierungsloser als zu Beginn. Es wird nicht klar, was der Autor eigentlich sagen will. Selbst „Bilanz und Nachwort“ sind nicht fassbar.

Hinzu kommt, dass Bernstein die kritische Literatur, in der die meisten seiner Fragestellungen überzeugender beantwortet sind, ignoriert. So kommt in seinen Ausführungen über den Zionismus die Brisanz des jüdischen Fundamentalismus für die israelische Demokratie nicht zum Tragen. Dies auch deshalb, weil er sich nur innerhalb der israelischen Konsensliteratur bewegt, die zionismuskonform argumentiert. Welch verheerende Auswirkungen der Zionismus für die Palästinenser gebracht hat, findet keine adäquate Würdigung. Wie denn die große Ungerechtigkeit gegenüber den Palästinensern unberücksichtigt bleibt. Selbst wenn er sich einmal auf Sara Roy, eine amerikanische Ökonomin, bezieht, die die beste Analyse über die bewusste Nichtentwicklung des Gaza-Streifens durch Israel heftig kritisiert, erkennt man Roys Ausführungen nicht wieder. Es werden eher Marginalien als die zentralen Aussagen der Autorin zu den Ursachen zitiert. Wichtige kritische Publikationen über den Fundamentalismus und die jüdische Religion wie von Israel Shahak werden nicht rezipiert. Sie hätten auch nicht ins Weltbild des Autors gepasst.

Völlig inakzeptabel ist die knappe völkerrechtliche Aussage des Autors über die Oslo-Abkommen und die Balfour-Erklärung. Während Bernstein Ersteren die völkerrechtliche Qualität abspricht – mit dem Rückgriff auf israelische Sicherheitsinteressen! –, attestiert er Letzterer just diese Qualität, weil sie auf der Konferenz der Alliierten von San Remo 1920 behandelt worden sei. Warum ist wohl Israel so erpicht, einen Statusendvertrag mit Arafat abzuschließen? Der Konflikt wäre damit wenigstens völkerrechtlich beendet, nicht aber politisch. Der Nachteil für die Palästinenser läge aber dann darin, wenn sie sich weiter auflehnen würden, sie sich vor der Weltmeinung völlig ins Unrecht setzten.

Bernstein hat mit diesem Buch wenig zur Aufklärung der verworrenen Lage im Nahen Osten beigetragen. Er hat keiner Seite einen Gefallen getan. Eine gute Chance wurde vertan.

LUDWIG WATZAL

Reiner Bernstein: „Der verborgene Frieden. Politik und Religion im Nahen Osten“, 298 Seiten, Jüdische Verlagsanstalt Berlin 2000, 49,80 DM