Prozess um erstickte Migranten

Nach dem Tod von 58 Chinesen in einem Laster in Dover müssen sich neun Angeklagte wegen Totschlags und Menschenschmuggels in Rotterdam vor Gericht verantworten

ROTTERDAM ap ■ In Rotterdam stehen seit gestern neun Männer vor Gericht, die sich für den Tod von 58 chinesischen Flüchtlingen im Juni 2000 verantworten müssen. Die Staatsanwaltschaft erklärte zu Prozessbeginn, die Schmugglerbande habe bereits zuvor mindestens zweimal Flüchtlinge nach Großbritannien gebracht. Die Chinesen waren in einem Kühllaster auf der Fähre nach Dover erstickt.

Den neun Angeklagten, sechs Niederländer und drei Türken, wird Totschlag oder Beihilfe zum Totschlag vorgeworfen. Einigen Angeklagten werden zudem Menschenhandel und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zur Last gelegt. Ihnen drohen bei einer Verurteilung bis zu 30 Jahre Haft. Die Verhandlung findet in einem Hochsicherheitssaal vor drei Richtern statt. Die beiden Chinesen, die das Flüchtlingsdrama überlebten, sollen nicht aussagen.

Die Staatsanwaltschaft will die Aktivitäten der Bande bis zum Dezember 1999 zurückverfolgen, als sie Flüchtlinge von den Niederlanden nach Belgien und über den Ärmelkanal nach Großbritannien brachte. Die gleiche Route sei im April 2000 nochmals gewählt worden, nur drei Monate bevor die 58 Flüchtlinge im Kühllaster erstickten.

Laut Staatsanwaltschaft schmuggelte die Bande mindestens 130 Menschen nach Großbritannien. Die Behörden räumten ein, sie hätten einige Transporte ungehindert passieren lassen, um die Arbeitsweise der Banden aufzudecken.

Die Verteidigung erklärte, sie wolle Beamte der Einwanderungsbehörde und der Polizei in den Zeugenstand rufen. „Wenn die Staatsanwaltschaft einräumen muss, dass der Kühllaster durchgelassen wurde, wäre das verheerend für ihren Fall“, sagte ein Anwalt. Die Verteidigung bat um eine Vertagung des Gerichts, nachdem die Staatsanwaltschaft die Anklage für alle neun auf Totschlag ausgedehnt hatte.

Dem Fahrer des Lasters wird derzeit in Großbritannien der Prozess gemacht. Er hatte die einzige Luftzufuhr für die Flüchtlinge geschlossen und dann das Fahrzeug verlassen. Zollbeamte hatten die Leichen am 18. Juni bei einer Routinekontrolle entdeckt.