Bremen, hin und weg

■ Warum dieser Text so ellenlang ist? Weil zwei taz-Autoren und ein Herr xy kniefällig angekündigt werden müssen

Bei seiner vorletzten Schweinskramerei im Schlachthof wurde Wiglaf-„The Geifer“-Droste in der Hauspostille zett angekündigt als „einziger und letzter Grund“, der heutzutage noch einen Erwerb der taz rechtfertigen würde. Daraufhin trat das Zentralkomitee der „taz bremen“ zu einer Eilsitzung zusammen. Ein Ukas wurde verabschiedet. Keine Schlachthof-Belobigungen mehr in der taz! Außerdem trugen wir dafür Sorge, dass der Laden ganz oben steht auf Schultes berüchtigter Kulturschlachtungsliste, Auge um Auge.

Nun aber müssen wir unsere Schlachthof-Fathwa kurzzeitig unterbrechen. Es gilt nämlich zwei weitere „letzte Gründe“ anzukündigen. Letzter Nr.1: Ex-Titanic-Redakteur Gerhard Henschel. Letzter Nr.2: Ex-Junge-Welt- und Noch-konkret-Redakteur Rayk Wieland – beide turnen regelmäßig auf der taz-Wahrheitsseite.

Seit Oktober '99 geben Henschel und Wieland in Hamburg einmal im Monat den Kienzle und Hauser. Nur dass zwischen ihnen kein Reißwolf steht um Pro und Kontra zu – schmatz – verfuttern, sondern ein leibhaftiger Geistmensch in Form eines F.W.Bernstein, Harry Rowohlt, Michael Rutschky oder Clodwig Poth, wobei man Clodwig unter Umständen mit h schreibt. Im Unterschied zum Frontal-Reißwolf ist es deren Job nun nicht zu zerfetzen, sondern sich selber zerfetzen zu lassen, zumindest von einem der beiden Gastgeber. Wegen dieses blutigen Endziels heißt die Reihe „Toter Salon“. Um den kulinarischen Aspekt bei dieser Metzgerei zum Ausdruck zu bringen, fand sie lange Zeit in der Kantine des Schauspielhauses statt, jenem legendenumwobenen Ort, der schon so himmlische Dinge wie „Indien“ vom Kabarettistengespann Hader/Dorfner gesehen hat und mit auffälliger (Fresssucht?) Häufigkeit von Mitgliedern des Wahrheits-Clubs bespielt, bespeit und bespeist wurde, etwa Fanny Müller, Ernst Kahl, Horst Tomayer. Möglicherweise war es dieser Umstand, der den Noch-Hausherrn Tom Stromberg veranlasst hat, Veranstaltungen aus der Kantine zu verbannen. Nullo Problemo, ist man eben ins Thalia-Theater abgewandert.

Bevor der Sondergast beim Bremer Salon verraten wird, erst ein wenig taz-Inzucht: Für „die Wahrheit“ dachte sich Henschel die mutmaßlichen Jugendgedichte Michael Stichs aus und verspottete Reemtsma mit seinem ewigen Kellertrauma, ehe er am 19.10.98 seine einzige, wahre Lebensbestimmung fand: Das Aufspüren und Deuten der „wirrsten Grafiken der Welt“. Während des Kosovokriegs lud er inkognito – in guter, alter titanic-fake-Manier – zu einer „Friedensparty“ mit Soldaten und Jonglage ein, und wieder einmal war es der unvermeidliche Franz Alt, der drauf reinfiel. Außerdem wurde ihm DER Traum eines jeden Journalisten erfüllt: Er bekam eine Rüge des iranischen Botschafters wegen Ayatollah-Verunglimpfung. Dabei war alles ganz einfach: Henschel legte den Alten einfach mit ein paar Huren ins Bett.

Rayk Wieland ist auf der Wahrheitsseite zuständig für private und politische Ratschläge, etwa in seinen Sozialstudien „Wie wird man rechtsradikaler Schläger“ oder "Null Toleranz für Hebammen“. Zum Interview mit einem Frankfurter Bundesbanker erschien er mal mit „einer drei Meter langen Fahne“, wie der alte Schwätzer Sotschek verriet. Diese Fahne bekämpfte er mit 40 Tic Tacs (den Bonbons, nicht den Mädels). Im Jahr –98 verfasste er für uns drei Texte, –99 waren es sechseinhalb, 2000 schon 13, was hoffen lässt auf ein altmarxistisches Aufrollen des Blattes von hinten – der Seite 20. Zusammen mit Jürgen Roth gab er zwei Bände „Öde Orte“ heraus. Der Beitrag über ein kleines Dorf an der Weser ist betitelt: „Bremen sehen und dann weiterfahren“. Wo, um Himmels willen, bleiben die Bestechungsgelder von Bremen Marketing? In Unkenntnis eines Herrn namens Urdrü wurde auch dessen Heimatstadt Rinteln nicht verschont: „Bindet mich fest, Fremde“.

Nach guter, alter Wahrheitssitte kritisiert Wieland seine Feinde nicht auf inhaltlicher Ebene, sondern stänkert gegen ihre Hässlichkeit. So spielte er auf gewisse Ähnlichkeiten zwischen Volker Rühes Antlitz und einem Kampfpinscher an: Oh, Wieland, nicht einmal diesen hundsfottigen Uralt-Kalauer konntest du dir verkneifen.

Da wären wir nun endlich beim eigentlichen Grund dieses Textes angelangt. Special guest is, Tuuuuusch: Walter Kempowski. Und der hat vor allem dadurch Berühmtheit erlangt, dass er eine gewaltige sittliche Empörung anzeigte als im letzten Schleswig-Holstein-Wahlkampf Heide Simonis den Volker R. mit einem anderen R., nämlich Rambo, verglich. Unserer Meinung nach hätte allenfalls Sylvester Stallone Grund zu einer empörten Sittlichkeit seinerseits. Manche Leute sollen angeblich Kempowskis Roman „Tadellöser und Wolff“ (1971) ganz nett finden. Da Kempowski im Laufe seiner Tintenkarriere mehrmals des Textklaus bezichtigt wurde, machte er aus dem Delikt ein Prinzip. Im 3000 Seiten schweren „Echolot“ ist kein Wort selbsterstunken. Dort sampelte er wie ein DJ unendlich viele O-Ton-Splitter aus dem 2. Weltkrieg. Für „Bloomsday“ unterzog er sich einer SadoMasoSelbstgeiselung und zappte sich am 16. Juni 24 Stunden lang durch unsere gesamtdeutsche Reality-TV-Realität: Und deren Dokumentation ist doch tatsächlich klüger und lustiger als das Original. bk

„Toter Salon“ mit Walter Kempowski im Schlachthof, 9. 3., 20 h