: Wirrköpfe und andere Nischen
Postrockgewaber trifft Gaga-Electronic: Das US-Label Table Of The Elements stellt sich im Podewil mit den Bands Presocratics und San Augustin vor
Der Kampf zwischen Independent-Plattenfirmen und Majors ist ein alter. Beinahe ein überholter. Beide Unternehmensformen arbeiten inzwischen mit ähnlichen Strukturen und beide wollen letztlich vor allem eines: Künstler vermarkten und Platten verkaufen. Doch kleine Plattenfirmen, richtige Liebhaber-Labels, die sich völlig jenseits dieses Kampfs der Systeme verorten, gibt es glücklicherweise immer noch. Firmen, bei denen die völlige künstlerische Freiheit tatsächlich keine leere Floskel ist und bei denen sich scheinbar völlig altruistisch um gute Musik gekümmert wird.
Oder kann man mit ziemlich obskurer Nischenmusik etwa auch Geld verdienen? Vielleicht ein wenig. Doch bei Table Of The Elements aus Atlanta kann es um diese Frage wirklich nicht gehen. Schon seit 1993 werden hier Schätze der Avantgarde zwischen Pop, Noise, Jazz und Neuer Musik geborgen, die noch nie für breite Hörerschaften gedacht waren.
Man versteht sich dabei als Repertoire-Label einerseits und als Plattform für junge Experimental- und Postrockbands andererseits. Über die Jahre hinweg wurden durch diese doppelgleisige Strategie Ausschnitte der Arbeiten von La Monte Young bis Faust zugänglich gemacht und immer wieder Platten von aktuellen Tausendsassa-Acts von Jim O’Rourke bis Gastr Del Sol heraus gebracht. Um das leicht Verschwörerische hinter der ganzen Unternehmung zu betonen, werden bis heute sämtliche Veröffentlichungen durch Elemente des Peroidensystems gekennzeichnet. Aha, 2 HE, dabei kann es sich nur um eine Platte aus dem Hause Table Of The Elements handeln. Musikfreaks, und die werden hier ja hauptsächlich angesprochen, lieben so ein fein codiertes Wissen.
Die Idee hinter der historisierenden Labelarbeit und der gleichzeitigen Artist-Pflege ist es, musikalische Kontinuitäten zu erforschen und Verbindungslinien zwischen damals und heute zu belegen und zu betonen. Der Violinist Tony Conrad etwa, dem Table Of The Elements gar eine Mehrfach-CD-Box widmete, gilt als einer der ganz großen Minimalisten zwischen Neuer Musik und Pop. Mit seinem Instrument generiert er durch das Prinzip der minimalen Tonverschiebung weitflächige psychedelische Drones, denen der japanische Extremgitarrist Keji Haino, der auch schon auf Table Of The Elements veröffentllicht hat, bestimmt einiges zu verdanken hat. Oder Faust. Von der legendären Krautrockband wurden nicht nur einige Klassiker aus den Siebzigern wieder zugänglich gemacht, sondern auch das Comeback-Album der Wirrkopf-Combo erschien hier vor ein paar Jahren. Produziert wurde es von Jim O’Rourke, einer der umtriebigsten Gestalten der aktuellen Avantgarde zwischen allen Stühlen. Alte Helden treffen auf neue und Generationen fassen sich an den Händen.
Wenn Table Of The Elements jetzt erstmals mit einer kleinen Labelschau nach Deutschland kommt, ist jedoch kein alter Avantgarde-Gardist mit dabei, sondern die beiden, noch ziemlich unbekannten jungen Bands Presocratics und San Augustin. Beide Bands formulieren so etwas wie Tortoise im unvollendeten Status halb aus. Improvisierte Postrockschwaden treiben bei San Augustin dezent vor sich hin, während Presocratics zwischen Gaga-Electronic und angedeutetem Pop hängen bleiben. Zwei Mal Avantgarde, die sich selbst nicht all zu schwer nimmt. Und nur so ist neutönerisch anmutende Musik heute überhaupt noch zu ertragen.
ANDREAS HARTMANN
Heute, ab 22 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68, Mitte
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