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jazzkolumneCheck 2001: Der Club, der Spirit, der Song, das Solo

Old gold dream

New York war anders, als es das Bradley’s noch gab. Dieser kleine, schmal geschnittene Club im Greenwich Village, der vor drei Jahren den Flammen zum Opfer fiel, bestand aus einem langen Tresen, wenigen Tischen und einer improvisierten Bühnenecke, in der ein Flügel, ein Bass und gelegentlich noch ein kleines Drum-Set Platz hatten. Die Akustik in dem hölzernen Ambiente war intim, und Publikumsgenuschel während der jeweils drei Sets pro Abend wurde nicht geduldet.

Bradley’s galt über fünfundzwanzig Jahre lang als der After Hours Club für die New Yorker Jazz-Community. Thelonious Monk soll dort seinen letzten öffentlichen Auftritt gehabt haben, als er in Begleitung der Baronin Nica de Koenigswater zu einem Konzert mit dem Pianisten Barry Harris ins Bradley’s kam. Ob nun Michel Petrucciani, Brad Mehldau oder Jaki Byard – das Bradley’s bot den jeweils angesagtesten Pianisten eine begehrte Auftrittsmöglichkeit. Kenny Barron zählt schon seit Jahren zu den versiertesten Pianisten der amerikanischen Szene, er war auch einer der Stammgäste des Bradley’s, vor und auf der Bühne. Die auf der neuen Kenny-Barron-CD „Live At Bradley’s“ versammelten Titel wurden im April 1996 im Bradley’s mitgeschnitten, in Barrons Trio spielen Ray Drummond, Bass, und Ben Riley, Schlagzeug. Dies ist eine jener Platten, auf die man lange gewartet hat. Der Sound, das Repertoire, die Atmosphäre – hier stimmt einfach alles.

Dass das momentan gar nicht die Ausnahme ist, verrät ein Blick auf aktuelle Jazzveröffentlichungen wie zum Beispiel Ahmad Jamals „Picture Perfect“. Der heute siebzigjährige Ahmad Jamal hatte seine richtig große Zeit in den Fünfzigerjahren: 1958 war er mit seinem Trio-Album „But Not For Me“ der erste Jazzkünstler, der über eine Million Kopien einer Platte verkaufte.

Es war sein Jahrzehnt, für Miles Davis wurde er zu einem der wirklich prägenden Musician’s Musicians. Neben seiner Tätigkeit als Pianist eröffnete Jamal damals auch ein Club-Restaurant und ein Plattenlabel. Doch dann verließ ihn der Erfolg. Kleinere Lichtblicken waren lediglich das Impulse!-Album „The Awakening“ (1970) und „The Essence“ (1994).

Auf zwei Tracks der neuen CD, dem Titelsong „Picture Perfect“ und der Ballade „Whisperings“, singt nun Dr. O. C. Smith: eine kleine Sensation, da er nur sehr selten Gastauftritte gibt. Sein großer Soul-Hit hieß „Little Green Apples“, das war im Jahr 1968. Der Kirchenminister Smith, der auch ein guter Freund des Pianisten Horace Silver ist und auf dessen 94er CD „Pencil Packin’ Papa“ sang, hat angekündigt, dass er die Zusammenarbeit mit Jamal demnächst noch intensivieren will. Silver hatte sich einst festgelegt: Neben Andy Bey soll auf seinen Platten nur noch O. C. Smith seine Texte singen, so einzigartig, individuell, spirituell ist für ihn die Wirkung dieser beiden Sänger. Diese Trio-Session wurde im Sommer 2000 in Südfrankreich aufgenommen. Eine eigene Welt, voll schöner Improvisationen und guter Spirits.

In der hat sich auch Dianne Reeves bestens positioniert. Vor ihrer ganz neuen CD „The Calling“ erschien von ihr ein Meilenstein des zeitgenössischen Jazzgesangs – Dianne Reeves’ Live-CD „In The Moment“, für die sie gerade den begehrten Grammy in der Sparte „bestes Jazz-Gesangs-Album“ erhielt.

Mit „The Calling“ schließt sie nun diese Hommage an ihr großes Vorbild, die Sängerin Sarah Vaughn, an. Produziert von George Duke wirken in dem großen Streichorchester, das sie hier begleitet, auch Musiker mit, die schon früher mit der Gefeierten gespielt haben. Reeves lernte 1975 Vaughn bei der Beerdigung von Cannonball Adderley noch persönlich kennen, und ihre große Faszination für Vaughns Stimme und Interpretationen hat bis heute nicht nachgelassen.

Auch wenn auf der parallel erschienenen CD „Ken Burns Jazz“ mit den angeblich wichtigsten Originalaufnahmen von Sarah Vaughn leider einige der bekanntesten Titel aus Vaughns Repertoire fehlen, muss Dianne Reeves den Vergleich nicht scheuen. Im Gegenteil! Ihre Version von „Lullaby Of Birdland “ ist ein seriöser Einstieg, auch wenn sie auf den prägenden Sound, den viele alte Jazzaufnahmen nun mal haben, nicht abzielt.

Zur Frage, wie sich die Dinge zu dem entwickeln, was sie sind, hat der achtzigjährige Pianist John Lewis gerade den zweiten Teil seiner Trilogie „Evolution“ veröffentlicht. Die 1999 veröffentliche Solo-CD „Evolution I“ wurde von der New Yorker Wochenzeitung Village Voice zur wichtigsten Jazzplatte des Jahres gewählt. Die neue Quartett-CD knüpft konzeptionell und qualitativ daran an. John Lewis will zeigen, wie unterschiedlich sich eine Komposition in verschiedenen Kontexten entwickeln kann. Zwei von Lewis komponierte Jazzklassiker, „Django“ und „Afternoon In Paris“, die er schon auf „Evolution I“ reinterpretiert hatte, sind auch hier wieder vertreten. Besonders „Afternoon In Paris“ erscheint nun in einer radikal intimen Stimmung, dass selbst Lewis offenbar so erstaunt war und dem Titel ein definitorisches „That“ voransetzte.

Man müsse die Quelle genau kennen, aus der die Musik entspringt, sagt Lewis zu seinen Evolution-Sessions. Die Rolle des Solisten liegt dabei ausschließlich in den Händen von John Lewis, die Quelle aber bleibt in New York.

CHRISTIAN BROECKING

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