Techno-Regierung

Global Player: Kanzleramt-Labelchef Heiko Laux im Phonodrome  ■ Von Nils Michaelis

Zwischen den Regalen voller akkurat aufgereihter Mayonnaisegläser, Olivenölflaschen und Mehlpackungen stand da unvermittelt dieser Typ. Stolz ein T-Shirt des Detroiter Ur-Technolabels Metroplex am Leib tragend, blickte er cool in die Kamera. „Heiko Laux im EDEKA-Geschäft seiner Eltern“, verriet die Bildunterschrift in einer Ausgabe der Musikzeitschrift Spex von 1997. Gemeint war der Gründer eines Plattenlabels, das er vier Jahre zuvor mit dem hintersinnigen Namen „Kanzleramt“ im beschaulichen Bad Nauheim bei Frankfurt gegründet hatte.

Zu verlockend war damals jener Gegensatz, um ihn nicht fotografisch nachzuinszenieren: die provinzielle Lage von Laux' Wirkungsstätte auf der einen Seite, auf der anderen seine Kühnheit, den Sprung zum Global Player des Technobusiness zu wagen. Das sollte gelingen: Schon zum zweiten Mal in Folge wählte die Leserschaft des einflussreichen Frankfurter Musikmagazins Groove Kanzleramt zum deutschen Lieblingslabel. Und während sich DJs wie Pascal F.E.O.S. beeindruckt von der Qualität der Kanzleramt-Tracks zeigen spielt der britische Radio-Mogul John Peel Laux-Platten in seinen Sendungen.

Viel Lob, vor dem ein langer Weg lag. Bevor das Label 1993 gegründet wurde, hatte Laux in Bad Nauheim zunächst eine Kneipe namens „Kanzleramt“ geführt. Gemeinsam mit seinen Freunden stellte er hier erstmals sein Radar auf die Frequenz des musikalischen Weltgeistes: „Wenn man als Landei aufwächst, hat man normalerweise ja wenig Austausch. Durch unsere Kneipe trafen wir uns alle: Anthony Rother kam schon sehr früh vorbei und auch Johannes Heil. Wir interessierten uns für die Musik und haben uns da gegenseitig hochgeschaukelt. Ein gegenseitiger Rückhalt entsteht so und eine kreative Befruchtung kommt zustande. Erst dann fängt man hartnäckig an, bestimmte Richtungen weiter zu verfolgen und einen Stil auszuarbeiten.“ Während die musikalischen Konjunkturverläufe von Trance, Drum'n'Bass oder 2Step auf- und wieder abflauten, forschte man ungestört am klassischen Techno. Neben Laux fanden Künstler wie Christian Morgenstern, Richard Bartz und Alexander Kowalski zum expandierenden Label. Und statt, wie in den frühen Tagen des Techno, immer härter zu brettern, fanden sie über subtile Akzentverschiebungen zum eigenen Stil. Mit kleinen Effekten große Spannungen erzeugen, soulige Wärme zu schaffen, ohne in Klangkitsch zu verfallen, das war die Herausforderung, der man sich stellte. Und immer veröffentlichte Kanzleramt wichtige Platten, so Sex With the Machines von Anthony Rother, eine E.P., der nachgesagt wurde, ihr sei gelungen, was viele versuchten: Kraftwerk im Sound der Jetztzeit auferstehen zu lassen. Oder Johannes Heils LP Illuminate the Planet: Selten wurde so experimentell und gleichzeitig so eingängig mit den verschiedenen Genres der elektronischen Musik gearbeitet. Und nicht zuletzt Sense Fiction, Laux' Soloplatte vom letzten Jahr, die von der Kritik euphorisch aufgenommen wurde – auch außerhalb des Lagers der elektronischen Musik.

So unkonventionell Laux als Künstler ist, so nüchtern betrachtet er die geschäftliche Seite des Platten-Veröffentlichens. Nach einer absolvierten Lehre zum Groß- und Einzelhandelskauf-mann hatte er sich beim Plattenvertrieb Neuton mit den Gesetzen der Branche vertraut gemacht. „Bei Neuton habe ich gelernt, den Markt zu beobachten und einzuschätzen, wann es strategisch klug ist eine Platte zu veröffentlichen“, erklärt Laux. „So etwas ist wichtig, denn was nützt es, wenn ich klasse Platten mache, aber kaum welche verkaufe, und das Label letztlich pleite geht.“

So dürften die soliden Bilanzen ihren Teil dazu beigetragen haben, dass das Kanzleramt ohne Major-Anbindung zur dauerhaften Basis einer fortschrittlichen Klangästhetik wurde, dass der alte Zirkel von Profilierung im Underground und Preisgabe im Main-stream längerfristig unterbrochen werden konnte.

Ende 1999 nach Berlin umgezogen, hält man nun mit dem Labelsampler Fully Fledged (fledged = dt. flügge) Rück- und Vorschau. Auf der ersten CD sind Highlights der siebenjährigen Vergangenheit versammelt, auf der zweiten findet man bislang unveröffentlichte Tracks. In dieser Sammlung klingen Namen wie DJ Slip, Samuel L. Session, Diego, Alex Cortex, Johannes Heil, Anthony Rother und Christian Morgenstern, als gälte es ein Schatten-Kanzleramt als Techno-Regierung zu besetzen.

mit Richard Bartz (live) und Marc Schneider: Freitag, 22 Uhr, Phonodrome