„Diese Plumpheit nehme ich auf mich“

Ist das neu? Ist doch unwichtig! Thomas Hirschhorn macht Kunst politisch und erfolgreich. In Paris wurde ihm der Marcel-Duchamp-Preis verliehen

von HENRIKE THOMSEN

„Was mich interessiert, ist das Zu-viel-Tun, das Leisten einer Über-Arbeit, wie beim Licht“, sagt Thomas Hirschhorn. Wenn man den Arbeiten des 43-jährigen Schweizers begegnet, kann man sich ihrer Dichte und Energie tatsächlich kaum entziehen. Sie quellen über vor Assoziationsmaterial: Texte, Bilder und gefundene Alltagsgegenstände laden sich in Räumen, die mit Alltagsmaterial wie Pappe, Alufolie und Klebeband nachgebildet sind, gegenseitig auf. Was den gelernten Grafiker nicht interessiert, ist Formalismus. Hirschhorn nennt das „die Frage nach der Kochkunst. Die Frage: ‚Wie hat er das gemacht?‘, soll nicht gestellt werden müssen. Ich verachte diese Art von Kunst.“

Auch aus politischen Gründen. In „Flugplatz Welt“ hatte Hirschhorn auf der letzten Venedig-Biennale aus seinen charakteristischen Behelfsmaterialien das verkleinerte Modell eines internationalen Flughafens gebaut. Rundherum waren Text- und Bildstrecken montiert, als zöge statt blauem Himmel die Welt mit all ihren Problemen an den Fenstern der Flieger vorbei. Die vehemente Kapitalismuskritik der Texte schien sich aber auch durch lange Aluschläuche, die sich durch den Raum zogen, in die Carrier regelrecht hineinzupumpen wie eine andere Art von Treibstoff. So wie bei seiner Mentorin Catherine David fühlt man sich in Hirschhorns Ausstellungen eher wie in einem Seminar über Foucault und Deleuze, über Subversion und Derive.

Man kann auf Hirschhorns Zu-viel-Politik genervt reagieren und ihn als altmodischen Agitprop-Wiedergänger abtun. Er aber sagt: „Die Plumpheit nehme ich auf mich. Ich kämpfe gegen die menschliche Ungerechtigkeit an, und ich kann und will mir dabei gar nicht solche Fragen stellen wie: Ist das jetzt neu?“

Inzwischen ist seine Haltung salonfähig geworden. Hirschhorn hat den mit 60.000 Mark dotierten Marcel-Duchamp-Preis gewonnen, den Pariser Mäzene für 2001 erstmals ausgelobt haben. Im Sommer kann er den „Preis für Junge Kunst“ der Zürcher Kunstgesellschaft entgegennehmen. Dabei hat Hirschhorn gerade seine Heimat stets als Inbegriff des Kapitalismus parodiert. Seine überdimensionalen Nachbildungen von Rolex-Uhren oder Schweizer Taschenmessern bewirken, dass man ironisches Beileid statt Bewunderung für die Statussymbole empfindet.

Für den Duchamp-Preis hat Hirschhorn im Pariser Centre Pompidou ein neues Environment namens „Pole-Self“ entworfen. Beim Aufbau kurz vor der Vernissage konnte man seine Arbeitsweise beobachten. Hirschhorn arbeitet im Team. Er und seine Mitarbeiter bastelten über Monate in seinem Pariser Atelier an den Einzelteilen: Ketten in allen Größen und Variationen. Beim Aufbau der Teile in der Galerie zeigt sich Hirschhorn als der konzeptionelle Kopf. Er ist sich jedoch nicht zu schade, auf dem Boden zu hocken und überall bunte Fußmatten aufzukleben. Die Matten bilden zusammen mit einer Skulptur aus Badezimmerspiegeln ein intimes Gegenstück zu den Makrostrukturen ringsum. Die fatale sozio-ökonomische „Kette der Konsequenzen“, die Hirschhorn ins Bewusstsein rufen will, macht natürlich nicht vor der Privatsphäre Halt.

Es gibt bei Hirschhorn keine Unterscheidung in Handlangerdienste und Chefsachen. In einer Arbeit, wo noch der letzte Klebestreifen integraler Bestandteil ist, wäre das auch unmöglich. Der Politikbegriff beginnt vielmehr beim kollektiven Umgang mit dem Material. Es ist unbestritten, dass alles am Ende dem spezifischen ästhetischen System von Thomas Hirschhorn einverleibt wird. Doch dieses System strebt nach Selbstauflösung. Hirschhorns Arbeiten schmiegen sich organisch geschickt in ihre Umgebungen ein. Sie tarnen sich als wertlose Bastelarbeiten oder Penner-Assemblagen unter irgendwelchen Brücken oder an einer Mauerwand. Nach „Pole-Self“ wird das Centre Pompidou ab Ende April zum Beispiel in einer Metro-Station „Skulptur Sortier Station“ zeigen. Hirschhorn hatte die Arbeit ursprünglich für die Skulpturen-Biennale 1997 in Münster geschaffen.

Ihre Unauffälligkeit als Kunst und die oft ungeschützten Positionen von Hirschhorns Arbeiten im öffentlichen Raum laden zu Vandalismus regelrecht ein. Manchmal reicht auch ein Hagelschauer. Andererseits suchen sie die Gefahr: In „Pole-Self“ hängen riesige Hämmer, Sägen und Zangen in einem Wandrelief zusammen. Sicher sind es nur Symbole der Befreiung, doch in ihrer martialischen Echtheit bringen sie die Spannung zwischen Fragilität und Wehrhaftigkeit, die in Hirschhorns Arbeiten herrscht, genau auf den Punkt.

„Ich wollte gar nicht Kunst machen“, erinnert sich Hirschhorn an die Zeit, als er Mitte der 80er-Jahre die Schule für Gestaltung in Zürich absolviert hatte. Er ging nach Paris, um sich dem kommunistischen Grafiker-Kollektiv Grapus anzuschließen. Trotz allem wehrt er sich dagegen, dass seine Arbeit allzu direkt politisch verstanden wird. „Eine Aussage muss in der Arbeit und nicht durch die Arbeit geschehen. Ich will keine politische Kunst, sondern politisch Kunst machen“, sagt Hirschhorn. Tatsächlich hat er, wie die in allen Spielarten vorhandenen Folien in seinen Arbeiten verraten, einen feinen, aber sehr festen Formwillen. Tatlin und die übrigen Vertreter der russischen Avantgarde hätten an Hirschhorns raffinierter Materialästhetik ihre Freude gehabt. Auch Kurt Schwitters hätte sicher beifällig genickt.

Dank der Preise wird 2001 zum Hirschhorn-Jahr. In Paris und Zürich wird es praktisch das ganze Jahr große Arbeiten zu sehen geben. Im Herbst plant seine Galerie Arndt und Partner eine Ausstellung in Berlin. Dieser Erfolg ist auch ein später Erfolg für Catherine David, die dem damals Unbekannten 1994 am Museum Jeu de Paume eine Ausstellung verschaffte. Seither ist sich Hirschhorns Werk in allen seinen eigentümlichen Stärken und Schwächen treu geblieben, nur sieht man heute glücklicherweise vor allem seine Stärken.

„Pole-Self“, bis 30. 4., Centre Pompidou, Paris. Vom 29. 4. bis 29. 6. „Skulptur Sortier Station“ an der Pariser Metro Stalingrad. Weitere Informationen: www.centrepompidou.fr