„Jugendkult ist einfach unerträglich“

Mit „Sue“, „Fiona“ und „Fast Food, Fast Women“ hat Amos Kollek drei Filme über drei New Yorker Frauenfiguren gedreht. Der Regisseur über seine Hauptdarstellerin Anna Thomson, Sex im Alter, seine Heimat Jerusalem und den Nahostkonflikt

Interview KATJA NICODEMUS

Sie haben mit „Sue“, „Fiona“ und „Fast Food, Fast Women“ drei Filme über drei Frauenfiguren gedreht. Dabei gelingt Ihnen die seltene Gratwanderung zwischen hartem Realismus und wirklichen Kinogeschichten. Alle Ihre Heldinnen haben, obwohl sie sich mit der Stadt New York herumschlagen, auch eine abstrakte Seite.

Amos Kollek: Ich habe eine Schwäche für Außenseiterinnen. Die Frauen in meinen Filmen befinden sich immer außerhalb des menschlichen Mikrokosmos, durch den sie gehen. Die Heldin meines Film „Sue“ stirbt letztlich auch, weil sie eine Reihe von Eigenschaften hat, die sie von den anderen entfernen. Zum Beispiel ist sie außerstande, irgendetwas von irgendjemandem anzunehmen. Am stärksten sehe ich diese Spannung zwischen Künstlichkeit und Realismus in „Fiona“. Diese drogenabhängige Hure ist vielleicht die merkwürdigste meiner Frauenfiguren. Weil sie auf der einen Seite eine absolut echte New-York-Figur und auf der anderen ein völliges Kinowesen ist, eine Heilige, die durch den Sündenpfuhl wandelt.

Im Grunde haben alle Ihre Filme etwas von weiblichen Passionsgeschichten. Sue gibt in einem fast biblischen Sinne. Wenn sie ihre Brüste einem Obdachlosen zeigt, dann ist das eine Geste der Nächstenliebe.

Sue hat das Gefühl, dass sie der Welt alles geben muss. Das ist bei ihr schon eine fast philosophisch-moralische Haltung. Genau das macht auch ihre Würde aus. Und die verliert sie bis zum Schluss nicht. Es gibt ja dieses Sprichwort, dass es Leute gibt, die sich nicht verbiegen, sondern nur zerbrechen können. Ich glaube, das trifft auf sie zu.

In „Fast Food, Fast Women“ arbeiten Sie zum dritten Mal mit der Schauspielerin Anna Thomson zusammen. Sie ist eine eine der irritierendsten Gestalten des Gegenwartskinos. Vor allem wegen ihrer Körperlichkeit. Auch wenn sie nackt ist, hat man nie das Gefühl von Ausbeutung oder Obszönizät.

Als ich Anna Thomson zum ersten Mal traf, war der Anlass ein Casting. Sie sollte eine Prostituierte spielen. Sie kam in einem unglaublich knappen kurzen Rock, und ihr Körper war geradezu ausgestellt. Keine andere Schauspielerin kam so an. Trotzdem sah sie eben nicht einfach nur wie eine Nutte aus. Danach unterhielt ich mich mit ihr. Sie sagte mir, dass sie sich in dieser Kleidung wie eine Nonne fühle. Und ich glaube, genau darin besteht ihre paradoxe Körperlichkeit: In der Diskrepanz zwischen Auftreten und Selbstwahrnehmung. Sie zieht sich an und tritt auf, als brauche es nur ein Fingerschnippen, um sie flachzulegen, aber das genaue Gegenteil ist der Fall.

Sie haben mit „Whores 2“ vor ein paar Jahren eine Film über New Yorker Prostituierte gedreht, die sich selbst spielen. Auch in Ihren Spielfilmen stehen immer wieder Nutten im Mittelpunkt. Was fasziniert Sie so an diesen Frauen?

Sie haben, glaube ich, ein anderes Verhältnis zu ihrer Sexualität. Es ist klarer, weil sie ihre eigene Sexualität gegen die Ökonomie des Tauschwerts absetzen müssen, in der sie sich ständig bewegen. Die Palette ihrer sexuellen Sozialisationen und Vorlieben unterscheidet sich nicht von anderen Leuten. Aber egal ob die Prostituierten, die ich kennen gelernt habe, nun frigide, lesbisch oder heterosexuell waren, sie haben fast ausnahmslos ein anderes Bewusstsein für die psychosexuellen Zusammenhänge des Lebens. Diese Mischung aus Nüchternheit und Ehrlichkeit finde ich sehr angenehm.

In Ihrem Film „Fiona“ spielte Anna Thomson eine Prostituierte kurz vor dem Abgrund. Dabei haben Sie mit echten drogenabhängigen Prostituierten gedreht. Wie bewegt man sich mit einer Filmcrew in einem New Yorker Crackhouse?

In diesem Film sind wir wirklich in die Eingeweide von New York hinabgestiegen. Es gab nur Anna, den Kameraman und mich. Ich könnte natürlich ganz nobel sagen, dass allein das Konzept dieses kleine Team erforderte. Aber es war auch eine finanzielle Frage. Ich hatte in „Sue“ meine persönlichen Ersparnisse hineingesteckt. Die Dreharbeiten zu „Fiona“ begannen ziemlich knapp danach, da ging ich geldmäßig auf dem Zahnfleisch. Ich hätte mir gar nicht leisten können, mit einer größeren Crew zu drehen. Aber wären wir mit einer Horde Filmleute in dieses Crackhouse reingetrampelt, hätte es auch nichts mehr zu drehen gegeben.

In „Fiona“ wirkt Anna Thomson, als würde sie schon ewig mit den Prostituierten zusammenleben. Wie erzeugt man diese Authentizität?

Anna fragte mich vorher: „Was soll ich zu den Prostituierten sagen?“ Ich sagte ihr: „Du musst diese Frauen nicht mögen. Sag ihnen nichts, was nicht stimmt.“ Genau das hat sie dann auch getan. Sie blieb für sich absolut integer und bewegte sich dennoch so unter den Huren, als sei sie nie woanders gewesen. Und die Crack-abhängigen Prostituierten hielten sie für eine Kollegin, über die wir eine Dokumentation drehen. Zuzuschauen, wie Anna zu diesen Frauen ganz beiläufig ein geradezu schwesterliches Vertrauen aufbaute, war, glaube ich, die beeindruckendste Erfahrung meiner bisherigen Arbeit.

In Ihrem neuen Film „Fast Food, Fast Women“ hat sich der Ton geändert. Er ist fast komödiantisch. Auch das New-York -Bild ist weicher.

Ich habe mich bei „Fast Food, Fast Woman“ mehr als je zuvor auf die Menschen konzentriert. Natürlich geht es auch hier wieder um die Atmosphäre von New York. Wenn die Figuren im Park sitzen, dann sieht man die gesamte Skyline der Stadt hinter ihnen. Dieses Stadtgefühl ist mir auch hier sehr wichtig. Aber ansonsten ging es mir eher um die Beziehungen zwischen den allesamt sehr einsamen Figuren. Um ihr Zögern, einander näherzukommen. Um ihre Angst, zurückgestoßen zu werden.

Dabei behandeln Sie ein Thema, das auch im Independent-Bereich tabu ist: Sex im Alter.

Menschen über sechzig und vor allem Frauen jenseits der sechzig wird im amerikanischen Kino jegliche Sexualität abgesprochen. Selbst für eine so gestandene Schauspielerin wie Louise Lasser hatte es etwas Irritierendes, sich auf der Leinwand und beim Drehen mit erotischen Bedürfnissen auseinander zu setzen. Dabei haben wir nicht einmal explizite Sexszenen gedreht, sondern einfach nur zwei ältere Menschen, die nebeneinander im Bett liegen und gerne zur Sache kommen würden. Ich finde, dass gerade das Independent-Kino diese Befangenheit lösen muss. Dieser Jugendkult ist einfach unerträglich.

In „Fast Food, Fast Women“ gibt es die Nebenfigur einer lispelnden Nutte. Ansonsten geht es aber nicht um Frauen, die schnell zu haben sind. Woher der Titel?

Die Idee ist mir in Jerusalem gekommen. Obwohl ich in dieser Stadt aufgewachsen bin und sie liebe, habe ich die tiefe Religiosität ihrer Bewohner immer wieder als anstrengend empfunden. Eines Tages habe ich mir einfach ausgemalt, was passieren würde, wenn man in dieser Stadt, in der sich christliche, jüdische und islamische Moralwelten überschneiden, ein Café mit dem Namen „Fast Food, Fast Women“ eröffnen würde. Was für ein schöner Frevel (lacht).

Als Sohn von Teddy Kollek, des legendären Bürgermeisters von Jerusalem, sind Sie in Israel aufgewachsen. War der Weg nach New York auch eine Flucht vor den strengen Moralvorstellungen Ihrer Heimat?

Ja und nein. Jedenfalls habe ich nicht umsonst eine Analyse gemacht (lacht). Und mit einem derart starken Vater klarzukommen ist nicht ganz einfach. Mein Vater war fast dreißig Jahre lang Bürgermeister von Jerusalem, und er war fast Mitte fünfzig, als er den Job antrat. Nicht schlecht, für jemanden, der schon fast auf die Rente zugesteuert ist, oder? Natürlich waren wir in Israel eine Prominentenfamilie. Da war es für mich dann ein irres Gefühl, in New York erst mal untertauchen zu können. Andererseits hat mich die Anonymität dieses Molochs irgendwann auch gestört. Ich glaube, in „Fast Food, Fast Woman“ habe ich die Wärme und Herzlichkeit von Jerusalem ein bisschen auf New York projiziert.

Ihr Vater wurde mit seinem Bestreben, die Bevölkerungsgruppen und Religionen in Jerusalem auszusöhnen, zu einer Art Symbolfigur für den Frieden. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die derzeitige Eskalation des Nahostkonflikts?

Natürlich gibt es da so ein Gefühl, dass sein Lebenswerk in die Vergeblichkeit driften könnte. Ich habe im letzten Jahr ein paar Tage in Jerusalem gedreht. Genau zu dieser Zeit fanden schwere Unruhen statt. Unser letzter Drehtag war der Tag, an dem sich Scharon zum Tempelberg begab. Am nächsten Morgen ging dann alles los, es war nicht mehr zu stoppen. Ich hatte sehr große Hoffnungen in diesem Friedensprozess gesetzt. Ich hätte niemals gedacht, dass sich so schnell eine unglaubliche Enttäuschung einstellen könnte. Nicht im Traum. Ich habe das Gefühl, dass es sehr, sehr lange dauern wird, bis wir auch nur den Punkt erreichen, an dem wir uns im letzten Jahr befanden, weil die Leute jedes Vertrauen in die andere Seite verloren haben.

Von welcher Seite sprechen Sie?

Ich weiß, dass sich dieser Vertrauensverlust quer durch die israelische Bevölkerung zieht. Ich habe in New York und Jerusalem mit vielen Israelis gesprochen. Und zwar vor allem mit Leuten, die links sind und sich teilweise sehr für den Frieden engagiert haben. Selbst die haben jede Hoffnung verloren. Und was glauben Sie, wie es dann erst auf der arabischen Seite ausieht.

Gilt das auch für Sie selbst?

Nein. Diese Leute müssen zusammenleben. Es gibt keine Alternative. Keiner unserer Kriege hat zu irgendetwas geführt. Irgendwann werden die Israelis das begreifen. Das ist meine Überzeugung, auch wenn die letzten Monate sehr deprimierend waren.