Die subtile Rache der Frauen

Es ist paradox: Der Feminismus ist tot, jede einzelne Frau passt sich an – aber gerade dadurch kommt die Emanzipation voran. Hinterrücks ereignet sich eine Revolution

Die echte GreenCard ist ein Flop.Effektiver istdas neudeutschePaarungsverhalten.

Wie rührend, welch selbstbewusste Hoffnung. Vor genau 29 Jahren, am 8. März 1972, fand in Frankfurt der erste Frauen-Kongress statt. Und dort hing dieses Plakat, das jetzt so nostalgisch stimmt. Kompliziert drückte es eine ganz einfache Wahrheit aus: „Die Frage der Frauenemanzipation ist eine Frage der Frauenarbeit. Emanzipation der Frau heißt: die vollständige Veränderung ihrer sozialen Stellung, eine Revolution ihrer Rolle im Wirtschaftsleben.“

Wer nicht gerührt ist, wird zynisch. Denn von dieser Revolution der Frauenrollen ist bisher wenig zu sehen. In Zahlen ausgedrückt: Frauen verdienen bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit bloß 77 Prozent der Männerlöhne; sie stellen nur 3 Prozent der Führungskräfte, dafür aber 90 Prozent der Teilzeitbeschäftigten; der Erziehungsurlaub ist zwar grammatikalisch männlich, doch ansonsten weiblich.

Was Feministinnen besonders erbittern muss: Der Kampf war nicht nur anscheinend umsonst, er wird auch nicht weitergetragen! Viele Töchter sind doch tatsächlich der Meinung, sie seien schon gleichberechtigt – nur weil sie jetzt als Mehrheit auf die Gymnasien und Universitäten drängen. Ja, sehen sie denn nicht, dass sie bei den Promovierten nur ein Drittel stellen, bei den Habilitierten ein Viertel und bei den C4-Professoren ganze vier Prozent? Die Wissenschaft ist zwar grammatikalisch weiblich, doch ansonsten männlich.

War’s das also mit der Emanzipation? Nein. Denn eine andere der beliebten Wahrheiten von damals ist, dass die historische Entwicklung „gleichsam hinter dem Rücken der handelnden Personen die sachgemäßen Formen gewinnt“ (Marx). In heutigem Deutsch: Es kommt immer anders, als man denkt – dafür aber zwangsläufig. Und während der Feminismus offiziell dahinsiecht, erreicht er hintenrum sein Ziel. Man könnte es „die subtile Rache der Frauen“ nennen – wüssten die Frauen, was sie da tun. Aber sie bemerken gar nicht, dass sie eine Revolution auslösen. Jede für sich, ganz ahnungslos, scheinbar individuell.

Beispiel 1: die Pflegeversicherung. Sie gibt es nur, weil sich die Frauen massenhaft weigern, ihre traditionelle Rolle auszufüllen und die gebrechlichen Angehörigen zu betreuen. Sie gehen lieber arbeiten. Jede für sich, aber das macht es ja so wirkungsvoll: Die Kosten für kommerzielle Pflegedienste und Altersheime steigen, die Sozialversicherungen sind überfordert. Erstmals seit der Weimarer Republik musste eine neue staatliche Versicherung erfunden werden. Die Pflegeversicherung ändert zwar nichts an den klassischen Rollen – Pflegen ist weiterhin ein weiblicher Beruf –, aber immerhin werden die Frauen jetzt bezahlt. Ob zu Hause, wenn sie sich um kranke Verwandte kümmern, oder in den Heimen als Personal. Die alte Forderung „Lohn für Hausarbeit“ wurde so auf einem Umweg real.

Beispiel 2: der „Kindermangel“. Das Phänomen selbst ist zwar so alt wie der „Pillenknick“ und damit sogar noch ein wenig älter als die Frauenbewegung. Trotzdem hat es mehr als drei Jahrzehnte gedauert, bis zum letzten Sommer, bis die permanente Nachwuchsdelle politisch wirksam wurde. Eine etwas langweilige Revolution, vielleicht, doch dafür nachhaltig. Die „Familienpolitik“ wird uns nicht mehr verlassen – und ist nichts anderes als Frauenpolitik, die nur nicht so heißen will. Letzter Höhepunkt war der Vorschlag von CSU-Chef Edmund Stoiber, der in den ersten drei Lebensjahren eines Kindes monatlich 1.000 Mark zuschießen möchte. Natürlich gab es Einwände, alle richtig, die sich in dem Satz zusammen fassen lassen: Auch 1.000 Mark pro Monat sind nicht genug. Auch dann bleiben Kinder das größte deutsche Armutsrisiko. Auch dann lassen sich Kind und Beruf nicht vereinbaren. Es müssen mehr Horte und Ganztagsschulen entstehen. Das alles wussten Frauen schon immer. Das Neue ist, dass diese simplen Wahrheiten jetzt auch von vielen Männern entdeckt werden – und sogar von den ganz konservativen.

Eine Erkenntnisrevolution. Es bleibt abzuwarten, was daraus wird. Die Vorbilder Schweden und Frankreich zeigen, dass selbst optimale Kinderbetreuung die Geburtenrate nur um 0,2 Prozent auf 1,5 Prozent nach oben treiben dürfte. Dies ist immer noch zu wenig, um die Einwohnerzahl Deutschlands stabil zu halten. Doch da Einwanderung keine Lösung ist – auch Migrantinnen verzichten alsbald auf Kinder –, wird die Mutterschaft zu ganz neuem Ansehen kommen. Und zu Förderung. Wieder erreicht ein Umweg, dass klassische Haus- und Familienarbeit entlohnt wird.

Der Kindermangel wertet aber nicht nur die Mutter von heute auf, sondern auch die berufstätige Frau von morgen. Der Gesellschaft geht nicht die Arbeit aus, wie man immer dachte: Noch schneller fehlen die qualifizierten Arbeitskräfte. Mann wird es sich gar nicht mehr leisten können, die weibliche Intelligenz zu verschleudern und Frauen in schlecht bezahlte Hilfsdienste oder die reine Mutterrolle abzudrängen. Das deutsche Dauerthema, die Unvereinbarkeit von Beruf und Kindern, wird sich auch deswegen erledigen. Wahrscheinlich werden die zuständigen Kommunen so lange lamentieren, woher denn die zusätzlichen Mittel für die Kinderbetreuung kommen sollen, bis sich die Unternehmen selbst darum kümmern. Die harte Konkurrenz um Mitarbeiterinnen wird nur noch gewinnen, wer Kindergärten bezuschusst oder die Arbeit per Bildschirm den Müttern nach Hause schickt.

Neuerdings entdecken sogar konservative Politiker, dass esein Problem bei der Kinderbetreuung gibt

Ungeplant haben die Frauen ihr Ziel von 1972 also erreicht: „Die vollständige Veränderung ihrer sozialen Stellung, eine Revolution ihrer Rolle im Wirtschaftsleben“. Das bleibt nicht folgenlos, auch andernorts.

Ein letztes Beispiel: die binationale Heiratsoffensive. Die Ehen zwischen Deutschen und Ausländern haben stark zugenommen, was nicht nur mit der globalisierten Reiselust zu tun hat. Dahinter steht auch, dass sich das Selbstverständnis der deutschen Frauen so sehr gewandelt hat, dass einige lieber den fremden „Machismo“ als den heimischen „Macker“ ertragen (der wiederum gelegentlich eine Ausländerin erwählen muss, um sich die Illusion der willigen Partnerin zu erhalten). Jedenfalls wurde 1999 genau 58.569-mal binational geheiratet. Das mag gering erscheinen – ist es aber nicht, wenn man dies mit der offiziellen Green-Card-Initiative vergleicht. Sie hat bisher nur etwa 5.200 ausländische Fachkräfte nach Deutschland gelockt. „Flop“ ist kein zu hartes Wort für diesen Misserfolg. Obwohl das Statistische Bundesamt nicht erhebt, welche Vorbildung die ausländischen Ehepartner mit nach Deutschland bringen: Es liegt nahe, zu vermuten, dass darunter bestimmt mehr als 5.200 Fachleute sind. Die wahre Green-Card-Initiative ist das neudeutsche Paarungsverhalten.

Das bekannteste Schlagwort der Frauenbewegung lautete: „Das Private ist politisch.“ Damit war gemeint, dass die häuslichen (Gewalt-)Zustände Gegenstand der Politik werden müssen. Jetzt zeigt sich, dass dieser Spruch auch umgekehrt stimmt: Hinterrücks hat das Private das Politische verändert. ULRIKE HERRMANN