Die Liebe des Propheten

Herbert Rösler ist ein Erweckter. Im Jahre des Herrn 1968 vernahm er dessen Stimme und scharte eine treue Gefolgschaft um sich. In futuristischem Ambiente produzieren die Erleuchteten seither künstlerische, aber unverkäufliche Dinge für die „siebte Phase“. „Mit Herbert“, sagen seine Anhänger, „ist das Leben so leicht!“

von DANIEL WIESE

Erinnert sich noch jemand an Uri Geller? Der Mann konnte Gabeln verbiegen, nur durch die Kraft seines Willens. Oder Uriella, die Seherin: Sie verkauft rechtsgedrehtes Badewasser als Wundermedizin, während ihre Anhänger in weißen Kleidern im Schwarzwald herumlaufen und auf das Ufo warten, das sie abholt. Herbert Rösler aus Tübingen ist nicht so bekannt. Dabei besitzt auch er besondere Gaben.

In Tübingen kennt man Herbert Rösler als einen älteren Mann mit blond gefärbtem Haar, der seine Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille verbirgt. Niemals geht er ohne weibliche Begleitung aus. Eine Frau rechts, eine links, das ist sein Auftritt. Die Frauen sind stark geschminkt und auch besonders gekleidet. Ein bisschen sehen sie aus, als wären sie Darsteller eines Flowerpowermusicals, die nur vergessen haben sich umzuziehen und jetzt immer so bleiben müssen.

Wir hatten uns in Röslers Hauptquartier verabredet. Es liegt außerhalb der Stadt, im toten Winkel zwischen zwei Schnellstraßen, und mag einmal eine Lagerhalle gewesen sein. Jetzt erinnert es mehr an eine Raumstation aus einem Sechzigerjahre-Science-Fiction, in dem eine friedliche Zivilisation ihren Planeten von einem Designer hat überarbeiten lassen. Die Halle ist in einem strahlenden, überirdischen Weiß gehalten, an einigen Stellen springen seltsame Ausbuchtungen hervor. Auf einem Schild steht „Herbert Rösler, Kulturproduktion“.

Beim Eintritt ertönt ein Klingelzeichen, und sobald man sich an das merkwürdig kalte Licht gewöhnt hat, sieht man sich von einer Kunstschwemme überflutet. Bilder, überall Bilder, jeder Quadratmeter bedeckt mit Bildern, die aussehen, als sei soeben die Pop-Art explodiert. Vielleicht hat sich auch Picasso im Delirium versucht, egal. Schaufensterpuppen tragen bunte Kleider, in Vitrinen stehen Schuhe mit goldenen Schnallen, Architekturmodelle leuchten weiß, darunter ein Holocaustmahnmal, das der Künstler vergessen hat rechtzeitig einzureichen. Mitten im Raum glitzert eine silberne Scheibe mit der Aufschrift „Die Liebe lebt“.

Das ist schon ein bisschen viel, und dann trippelt zwischen der ganzen Kunst auch noch ein Wesen mit sehr langen Wimpern herbei, sie heißt Linda Li und ist eine der beiden Begleiterinnen des Künstlers. Ihre Schuhe haben goldene Spitzen und goldene Absätze und sind von Rösler entworfen. Alles an ihr ist von ihm entworfen, auch das gewaltige Ohrgehänge. Linda Li stöckelt zu einer Vitrine, nimmt eine Tasse mit Ausbuchtungen heraus und freut sich. „Das ist ein ganz liebes Gefühl, wie wenn man jemand bei den Ohren anfasst“, sagt sie, und ob ich nicht auch mal anfassen will.

Ich muss mal kurz vor die Tür, Luft holen, als ein alter Mercedes vorfährt, aus dem drei Leute steigen. Es sind die andere Frau, die Rösler immer begleitet, ein Mann mit wirrem grauem Haar und Rösler selbst. Rösler geht etwas unsicher, er muss gestützt werden. Und da steht er nun höchstpersönlich vor mir, an den Füßen die tollen Lederstiefel, die er immer anhat, und streckt mir seine schwielige Hand entgegen. Knapp daneben.

Der Künstler, das hatte Linda Li schon verraten, ist fast blind, seine Brille eine Spezialanfertigung, 24 Dioptrien. Auf einem Auge sieht Herbert Rösler nichts mehr, auf dem anderen nur zehn Prozent. Das ist so seit einem Autounfall 1983, den er natürlich vorausgesehen hat. „Ich muss geplagt werden“, soll er kurz zuvor gesagt haben. Seitdem überlässt er die Ausführung seiner Kunst oft seinen Mitarbeitern.

Doch über den Unfall möchte er jetzt gar nicht reden. Wir sind mittlerweile im Allerheiligsten angekommen, einem abgetrennten Raum ganz in Weiß. Rösler trägt ein pinkfarbenes Oberteil, das bis zur Brust offen ist, und sitzt auf einem weißen Sofa zwischen den beiden Frauen. Ob er ein Glas Wasser möchte? Linda Li streicht ihm leicht übers Knie, doch ihr Meister ist geistig woanders. Wie alle Propheten befürchtet er, nicht richtig verstanden zu werden, und so erzählt er vom Krieg und dass er mal Werbegrafiker war, mit eigenem Studio, aber auch immer auf der spirituellen Suche.

Zwischendurch dreht er unter der weißen Tischplatte an Knöpfen herum, und aus versteckten Lautsprechern kommen Stimmen, die Gedichte von ihm aufsagen, denn Dichter ist er auch. Die Stimmen gehören mal Linda Li, mal dem Mann mit den wirren Haaren, den Rösler als Schauspieler Klaus König vorstellt. Der Schauspieler hat sich darauf spezialisiert, Röslers Offenbarungen aufzusagen. Auf ein Zeichen von Rösler steht er auf, breitet die Arme aus und deklamiert etwas über ein Feuerwerk, und das Feuerwerk hat einen Namen und heißt „Danke schön“. Das „Danke schön“ sagt Klaus König mit einem gedachten Knicks, so als würde er sich selbst bedanken.

Bei Rösler fließt alles zusammen, was schön ist und fein, und alles reimt sich. Eines der Gedichte handelt von einem imaginären Schönheitswettbewerb. Die Siegerin ist schließlich die Älteste, denn: „Die Liebste ist die Schönste, weil Schönheit Liebe ist.“ So in dem Stil geht es immer weiter. Während die Gedichte aufgesagt werden, sitzen alle andächtig mit geschlossenen Augen da, auch Rösler selbst. Nur ab und zu wirft er einen prüfenden Blick in die Runde, ob auch alle zuhören. Ist das eine spiritistische Sitzung? Eine religiöse Zeremonie? Warum betet niemand?

Doch Rösler ist irgendwie nervös, er rutscht auf dem Sofa umher und möchte noch etwas sagen. Wie alle Propheten braucht er eine Beglaubigung, das ist klar, und die möchte er jetzt beibringen. Denn nicht immer war er derart erleuchtet. Er hat in der „Welt der Lüge“ gelebt, in seiner Zeit als Designer entwarf er Plakate für Plattenfirmen, berühmte Plakate mit Künstlern wie Maria Callas drauf. Später, mit seinem eigenen Studio, muss er viel Geld verdient haben, es ist das Geld, von dem er und seine Leute immer noch leben. „Lastwagen fahren rein und raus, Models laufen rum“, sagt Linda Li beinahe ehrfürchtig, „aus so einer Welt kommt der Herbert“.

Dann aber wurde alles anders. Rösler erinnert sich sogar genau an das Datum, es war in der Nacht vom 18. auf den 19. September 1968. Er war wieder einmal auf der spirituellen Suche und konnte nicht schlafen, als die Vision über ihn kam. Der Himmel rollte sich auf von links nach rechts, und eine gewaltige Stimme sprach: „Unser Vater in dem Himmel.“ Das ist vielleicht nicht besonders originell, aber darauf kommt es bei einer Vision auch nicht an. In großen Buchstaben standen diese Worte da, und Herbert Rösler konnte „die Ewigkeit schauen“.

In dem weißen Raum herrscht Schweigen. „Jesus war in ihm drin“, lässt sich schließlich die andere Frau vernehmen, die neben Rösler sitzt und auch recht farbenfroh geschminkt ist. Sie heißt Ischabella, ist seine Ehefrau und hat alles miterlebt. „Das konnte mir niemand mehr nehmen“, sagt Herbert, froh, dass es endlich raus ist.

Seit der nächtlichen Offenbarung denkt er in anderen Dimensionen. „Der Tag wird kommen“, verkündet er, auf dem weißen Sofa zwischen den beiden Frauen sitzend, „wir gehen in die siebte Phase“. Die siebte Phase ist die neue Welt, die kommen wird, wenn Jesus wiederkehrt, und Herbert Rösler ist ausersehen, sie zu verkünden. Und zwar durch seine Kunst. Rösler glaubt, dass er die Gabe hat, die neue Welt stückchenweise aus dem Unsichtbaren herüberzuholen. Will man wissen, was auf die Menschheit zukommt, braucht man sich nur in seiner Ausstellung umzusehen.

Der Künstler sieht Räume, „hell und durchflutet von einem gesunden Geist“. Er visioniert goldene Wendeltreppen, die sich „frei von Staub und Schmutz, frei von allen okkultischen Gefühlen“ durch den Raum schwingen. Er begegnet weiblichen Wesen im zierlichen Kleid, und in Gestalt von Ischabella und Linda Li sitzen ja schon mal zwei davon da. In der Halle hängen Fotos von Performances, auf denen die beiden Röslers Modekreationen tragen, dazu haben sie diverse Perücken auf. „Frauen“, raunt mir Rösler später beim Rundgang durch seine Halle zu, „Frauen müssen hübsch und lieb und nett sein“.

Unermüdlich produziert Herbert Rösler die neue Welt. So viel hat er produziert, dass seine Halle davon überquillt. Verkauft wird nichts, das tut er grundsätzlich nicht. Das heißt, einmal hätte er sich beinahe darauf eingelassen. Das war, als einige Leute seine Neue-Welt-Tassen in größerer Stückzahl herausbringen wollten. Die Auftraggeber wussten wohl nicht, mit wem sie es zu tun hatten, und kamen mit Verbesserungsvorschlägen. Die Zusammenarbeit war schnell beendet.

Seitdem wird Herbert Röslers Kunst nur noch verschenkt. Die Frage ist bloß, an wen. Denn so schön die Botschaft auch klingt, so wollen sie doch nur wenige hören. Nur selten verirren sich Besucher in seine Halle, und darüber ist der Künstler schon ein wenig betrübt, auch wenn er das nicht direkt sagt. Zu allem Überfluss bescheinigte ein Kritiker der Lokalzeitung seiner Halle einmal „protzige Formen“. „Ich habe nichts gegen den Mann“, sagt Rösler nachsichtig, „der plagt sich selbst mit seiner Opposition“. Aber er hat es eben auch nicht vergessen.

Zum Glück halten wenigstens seine Mitarbeiter zu ihm, auch wenn es nicht mehr so viele sind wie früher. „Wir sind die letzten Treuen“, sagt Linda Li traurig, als ich sie und Klaus König später noch einmal treffe. Warum sie nicht auch gegangen sind? Was für eine Frage! „Herbert ist von Gott eingesetzt, die Wahrheit zu verkünden“, sagt der sanfte Klaus König fast böse und erzählt dann, wie es ihn in der Kölner Straßenbahn erwischt hat. Es war der 9. März 1969, der Schauspieler war gerade in einer Krise und las „Die Leiden des jungen Werther“, als sich ein Mann zu ihm setzte und ihn anschaute. Es war Rösler. Wenig später missionierte König selbst, zusammen mit Herbert ging er in Parka und mit langen Haaren und verkündete unter den Hippies.

„Wir waren richtige Jesus People“, bestätigt Linda Li, die schon als Schülerin zu Rösler kam. Jemand hatte ihr in ihrem Jugendhaus in Leverkusen einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem ein Kommunebild drauf war und der Spruch: „Jesus macht dich frei.“ Das Kommunebild interessierte Linda Li, sie fuhr mit in den vornehmen Kölner Stadtteil Ostheim, in dem die Röslers damals wohnten. Wenig später brachte sie das halbe Jugendhaus mit, für die Fahrten von Leverkusen nach Köln kauften sie sich extra einen Bus.

Alle Mitarbeiter, die in Röslers Räumen umherschwirren, sind seit der Jesus-People-Zeit dabei. Werner wäre noch zu nennen, ein freundlicher Hüne im Arbeitsoverall, der für die Schweißerarbeiten zuständig ist und selten etwas sagt. Sie sind Rösler von Köln in den Schwarzwald gefolgt, von da an den Bodensee, zwischendurch nach Italien und schließlich nach Tübingen, wo Rösler nach seinem Unfall in der Klinik lag. Sie haben miterlebt, wie Rösler sich mit allen Kirchen zerstritt und die Missionszüge immer weniger wurden, aber Zweifel sind ihnen fremd. „Mit Herbert ist das Leben so leicht“, sagt Linda Li, und ihr Gesicht ist ein einziges, großes Lächeln.

Noch wirkt der Zauber des Propheten. Aber was werden sie tun, wenn Rösler von ihnen geht? Trifft man seine Leute in der Stadt, wirken sie verloren. Linda Li und Ischabella Rösler radeln zu zweit zur Halle hin, von der Halle zurück und schauen oft etwas missmutig drein. Klaus König, der Schauspieler, geht meist allein durch die Straßen, den Kopf gesenkt, und erkennt einen nicht. Er hat es am schwersten, denn er wohnt allein in einem Hotel, wo er in der Küche aushelfen muss.

Jeden Abend aber bricht er auf und marschiert Richtung Weststadt, wo die anderen sich schon versammelt haben. Ischabella Rösler macht eine kalte Platte, und „dann sitzen wir zusammen, und Herbert sagt aus der Wahrheit“. Sagt Klaus König, der Schauspieler. Und fügt leise hinzu: „Ich wüsste gar nicht, wo ich sonst hingehen sollte.“

DANIEL WIESE, 38, Journalist, lebt in Berlin und muss, wie er sagt, auf seine eigene Erleuchtung noch warten