: Postmodern weltverquirlend
■ Zeitgenössische Graffiti und etliche Häuser Buntes in Science-Fiction-Manier: Architektonische Visionen aus Dänemark und Kongo im Kunstverein
Ohne es ausdrücklich zu benennen hat Yilmaz Dziewior die erste Ausstellung als neuer Direktor des Kunstvereins verschiedenen Aneignungsformen von Architektur gewidmet: Praxis, Kritik und Utopie. Als erste Tat seiner Amtszeit lies er den Eingangsbereich heller machen. Das in Berliner und Frankfurter Galerien erprobte Architektenduo „Internat“ setzte neues Tages- und gleißendes Kunstlicht und fasste den Raum mit lindgrünen Panelen, Tresen und Sitzkanten. Geschlossen wurde dagegen die Glaswand zum hinteren Raum der so zu einen perfekten „white cube“ für Studioausstellungen wurde. Kultursenatorin Christina Weiss war erfreut und versprach prompt, 60.000 Mark aus dem Kulturhaushalt dazu zu geben. Ausdrücklich betonte Yilmaz Dziewior, er sehe diese Umbauten als den beiden Einzelpräsentationen von Bodys Isek Kingelez und Jakob Kolding gleichwertig an.
Der in Kopenhagen lebende Jakob Kolding befasst sich mit der Realität der modernen Vorstädte. In seinem Geburtsjahr 1971 hätte man das wohl „kritisch hinterfragen“ genannt. Doch auch wenn sozialkritische Künstlerinnen wie Martha Rossler zu seinen Vorbildern zählen, sein aktueller Zugang berücksichtigt viel stärker die jugendkulturellen Aneignungsformen durch mobile Musik, Skateboarding und Graffiti.
Knallbunt und auf den ersten Blick ganz unpolitisch sind dagegen die Stadtvisionen von Bodys Isek Kingelez. Der 1948 in Kimbembele Ihunga in Kongo/Zaire geborene Künstler nennt seine Entwürfe von Einzelgebäuden und ganzen Stadtanlagen „extreme Modelle“. Mit über zwanzig dieser miniaturisierten Mischarchitekturen ist die Hamburger Ausstellung die größte bisher veranstaltete Retrospektive des Künstlers aus Kinshasa, den Yilmaz Dziewior auch schon 1999 in den von ihm kuratierten Teil der Ausstellung Kunstwelten im Dialog im Museum Ludwig, Köln aufgenommen hatte.
Die politische Dimension dieser vergnüglichen Spielerei liegt in der Vision einer freizeitbetonten Architektur, ist doch der Kongo ein eigentlich reiches, aber seit Jahrzehnten von Diktatur und Krieg gequältes Land. Und doch sind diese postmodern weltverquirlenden, kolonial-poppigen Mischarchitekturen eine sehr doppelsinnige „schwarze Utopie“. Dokumenta-11-Leiter Okwui Enwezor lässt in seinem Katalog-Essay anklingen, dass einzelne Neureiche in Afrika durchaus solche Phantasmen realisieren lassen und der praxisferne Größenwahn gewisser Projekte von korrupten Regierungen und globalem Kapital fast ebenso aussehen kann.
Aber nicht alles an diesen Modellen ist direkt als Architekturentwurf zu lesen: Die in den Städten reichlich präsente Reklame kommt mitunter schon mit dem Modellmaterial ins Kunstwerk, denn Kingelez verwendet Zahnpastaverpackungen oder Coladosen auch ganz unbearbeitet. Das ist im Kleinen nicht unähnlich den Favelas aus Kisten und gefundenem Abfall, fügt sich hier aber zu einer fröhlichen Glamour-Science-Fiction-Architektur.
Es überrascht nicht, dass Desig-ner wie Ettore Sottsass oder Architekten wie Jean Nouvel Spaß an diesen Arbeiten haben – Kingelez selbst ist übrigens ist nicht an der Diskussion mit europäischen Entwerfern interessiert. In seinen für uns sehr ungewohnten, frei kreisenden Texten betont er in einer Mischung aus afrikanischem Selbstlob und altertümlichen Geniekult die ganz eigene und unvermittelte Erfindung seiner Formen. Tatsächlich verließ er erst 1989 erstmals Afrika, um Arbeiten in der legendären Pariser Ausstellung Les Magiciens de la Terre zu zeigen – und seitdem fasziniert diese schräge Wunderwelt Europa.
Hajo Schiff
Bodys Isek Kingelez – Jakob Kolding – Internat, Kunstverein, Klosterwall 23, Di - So 11 - 18, Do - 21 Uhr; bis 06. Mai; Führungen: Jeden Donnerstag 18 Uhr; Kataloge: Kingelez: Hatje Cantz Verlag, 112 S., 38 Mark; Kolding: Verlag Revolver, 48 S., 24 Mark.
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