Unerschrockenes Spiel

Eigensinniges Jazzensemble mit attraktivem Interplay: Dave Douglas' „Tiny Bell Trio“ in der Fabrik  ■ Von Andreas Schäfler

Auf einen kurzen Nenner gebracht, steht das Tiny Bell Trio von Dave Douglas wie der direkte Gegenentwurf zu einem life according to Wynton Marsalis da. Douglas ist weiß, kein bisschen wertkonservativ und schon gar nicht rechthaber-isch. Seine freizügige Combo und der akkurate Staatszirkus des Lincoln Center Jazz Orchestra – das sind zwei Extrempole in ein- und derselben musikalischen Sparte. Dass die beiden Trompeter deswegen miteinander im Streit lägen, ist jedoch nicht überliefert, also lassen wir das. Und wenden uns Constellations zu, einer von Douglas' famosen Kompositionen, die er für sein Trio geschrieben hat. Ein paar getrommelte Auftakte, dazu flirrende Gitarrenakkorde als Grundierung, und schon gibt die strahlende Fanfare des Leaders die Reiseroute aus: Hier startet die freiwillige Feuerwehr zu einer Spritztour!

Exakt die Konstellation aus Douglas, Gitarrist Brad Schoeppach und Schlagzeuger Jim Black ist das eigentliche Ereignis dieser Musik. Sie geht sozusagen unverstellt aus der Summe dieser drei Temperamente, aus dem eigensinnigen Klangkörper dieses Ensembles hervor. Es gibt nicht viele Bands, die derart motiviert gemeinsam darauf hinarbeiten, dass Genre-Bekenntnisse in ihrer Musik fast gar nicht mehr vorkommen. Zuletzt hat sich in dieser Hinsicht das Tin Hat Trio hervorgetan, das von zeitgenössischer Kammermusik her über Jazz zu amerikanischer Roots-Musik aufbricht. Vor ein paar Jahren waren es die Spielernaturen Ray Anderson, Han Bennink und Christy Doran, die ihren Jazz mit allem kollidieren ließen, was sie an Material zwischen Heavy Metal und vollkommener Stille so aufbieten konnten, dabei aber meist nach der Devise verfuhren, sich bloß nicht festzulegen, sondern stetig weiter zu mäandern.

Dagegen wirkt das Tiny Bell Trio zunächst fast konventionell. Sound und Repertoire lassen sich recht eindeutig verorten, und bei aller stilistischen Freiheit wird ein klar definiertes Territorium beackert. Das instrumentale Rüstzeug von Douglas, Schoeppach und Black und ihre unerschrockene Spielhaltung markieren den Jazz, während die Kompositionen primär osteuropäischen Liedformen huldigen, über die dann wiederum modern improvisiert wird. Reihum stachelt einer den andern an, das Interplay wird attraktiv auf die Spitze getrieben – das wäre die definitive Straßenmusik für den fußgängerzonalen Ausnahmezustand! Doch auch diesseits der Virtuosität nimmt jedes Mitglied des Tiny Bell Trio eine prominente Rolle wahr: die des in allen Abläufen gleichberechtigten Gestalters. Und da muten sich die drei so einiges zu, können sich aber auch auf die seltene Tugend des Weniger-ist-mehr einigen.

Auf den Gitarristen muss noch gesondert eingegangen werden: Nehmen wir einmal an, dass Brad Shepik, wie er in den Ankündigungen (aber auch in manchen CD-Booklets) firmiert, mit eben jenem Brad Schoeppach identisch ist, der dem Tiny Bell Trio seit eh und je angehört. Offenbar kennt der US-amerikanische Volksmund bei einem dermaßen hochalemannischen Nachnamen keine Gnade! Brad S. jedenfalls ist mehr als ein beeindruckend kompletter Musiker. Wenn er sich mit Jim Black um die abgezirkelten Rhythmusfiguren oder mit Douglas' Trompete um das letzte Zipfelchen der Melodie zankt, blitzt oft schiere Genialität auf. Es gibt kaum einen Gitarristen, dessen Akkord- und Single-Note-Arbeit sich so energisch durchdringen. Außerdem tut er sehr viel für das Klangbild der Band, variiert fleißig seine Sounds und spielt gern auf Risiko.

Es kommen viele, viele Noten zusammen, wenn die Tiny Bells sich gegenseitig verständlich machen. Aber jede einzelne klingt, die Pausen sitzen, die Musik wird transparent, gewinnt bei jedem Stück von neuem diese gestochen scharfen Konturen, wie man sie vom guten alten Schattenspiel her in Erinnerung hat. Bei allem Res-pekt vor Dave Douglas' neuem Quartett mit dem Akkordeonisten Guy Klucevsek: Das Tiny Bell Trio ist und bleibt seine bisher überzeugendste musikalische Konstellation.

heute, 21 Uhr, Fabrik