Tanz den Stockhausen

■ Die belgische Compagnie Cie Michèle Noiret servierte beim Festival Tanz Bremen eine Reise ins Mysterium Körper und in die unendlichen Weiten der Multimedia

Das menschliche Genom ist entschlüsselt, die Blutgefäße werden durch Sonden erkundet, dennoch ist und bleibt der menschliche Körper für manche ZeitgenossInnen ein unbekanntes und deshalb zu erforschendes Mysterium. Die belgische Choreographin Michèle Noiret ist eine von ihnen. Mit ihrem jüngsten Stück „In between“ war die Tochter des Mitgründers der Künstlergruppe COBRA, Joseph Noiret, jetzt beim Festival Tanz Bremen zu Gast.

Vier TänzerInnen, darunter die 40-jährige Choreographin selbst, stehen in Lichtkegeln. In einer Pantomime werfen sie sich virtuelle Bälle zu. In quadrophonem Raumklang erklingt dazu Musik aus dem „Tierkreis“ des Komponisten Karl-Heinz Stockhausen, mit dem die Noiret seit Jahren zusammenarbeitet. Mit seiner Mischung aus dumpfen und hochfrequenziellen Elektrosounds, aus Stimmen, Brand- und Wassergeräuschen hangelt sich die Komposition an den antiken Grundelementen Wasser, Luft, Erde und Feuer entlang. Als Körpererkundung geschieht das Gleiche auch in der Choreographie.

Langsam, manchmal fast elegisch erforscht das schlicht kostümierte TänzerInnenquartett den Raum, sich selbst und die anderen. Mal formen sie sich zu Standbildern, mal schöpfen sie aus den Bewegungsmitteln der Kontaktimprovisation und kreieren dabei kurze Hebefiguren. Das wirkt nicht selten etwas schleppend, technoid und wie in einer kargen Fortentwicklung des Bauhaus-Balletts arg abstrahiert.

Doch die Choreographin beschränkt sich nicht nur auf Tanz. Der im Programmzettel als Video-Architekt bezeichnete Paulo Atzori hat vier bewegliche Stellwände mit Spiegeln und eine große Leinwand zum Bühnenbild vereint und projiziert darauf abstrakte Farb- und Lichtgewebe oder aber Bilder der TänzerInnen. Im Lauf des etwa 75-minütigen Gesamtkunstwerks entstehen immer stärkere Bilder. Im stärksten tritt die mit einer Minikamera ausgestattete Michèle Noiret allein auf. Man sieht ihre Hände und bald auch den Zuschauerraum in einer Nahauffnahme als Projektion und zugleich ihre tatsächliche Aktion auf der Bühne. Hier zerschlägt nicht wie in anderen Szenen das Videobild das Echte – hier und in mehreren weiteren Sequenzen entsteht Hochspannung aus dem Schillern von realem, projiziertem, Schatten- und Spiegelbild.

Gegen Ende der lang beklatschten Choreographie verwandelt das Quartett die etwa vier Meter hohe Leinwand in eine Kletterwand: Von der Rückseite drücken sie ihre Leiber durch den silbergrau angestrahlten Stoff. Der menschliche Körper bleibt, was er ist: ein faszinierendes Mysterium.

Christoph Köster