IRANS PRÄSIDENT MOHAMMAD CHATAMI MUSS WIEDER KANDIDIEREN
: Sein Name steht für Hoffnung

Kandidiert er oder kandidiert er nicht? Das ist die Frage. Seit Monaten drückt sich Irans Präsident Mohammad Chatami um eine klare Aussage zu den Präsidentschaftswahlen im kommenden Juni. Die Antwort: Er muss! Denn alles andere wäre ein Eingeständnis politischen Scheiterns. Das wäre vielleicht ehrlich – aber für die Bevölkerung der Islamischen Republik wäre es ein Desaster.

Vor vier Jahren trat Chatami als No-Name gegen den konservativen Nateq Nuri an. Er erreichte einen Erdrutschsieg. Das Votum der Bevölkerung war eine klare Absage an das klerikale Establishment des Staats. Nun steht Chatami in der Pflicht. Er habe „einen Vertrag mit dem Volk geschlossen“, an dem er festhalte, erklärte der Präsident gestern vor dem iranischen Parlament. Das mag wohlfeil klingen – aber es ist auch eine verhaltene Kampfansage an die Reformgegner, die genau wissen, dass sie die Mehrheit der über 60 Millionen IranerInnen nicht mehr für sich begeistern können.

Der wahrscheinlichste Kandidat der Konservativen, Exgeheimdienstminister Ali Fallahian, wird in Deutschland wegen des „Mykonos“-Anschlags auf vier oppositionelle iranische Kurden mit Haftbefehl gesucht. In Iran gilt Fallahian als Drahtzieher der Morde an zahlreichen Intellektuellen. Für die meisten BürgerInnen ist er mit dieser Vita nicht wählbar. Nur: Sein Gegner agiert viel zu leise. Amtsinhaber Chatami erklärt seine Leisetreterei gegenüber seinen WählerInnen mit dem Hinweis auf die angebliche Übermacht der Reformgegner. Das mag zu Zeiten seines Amtsantritts gegolten haben. Doch inzwischen hat sich in Iran einiges geändert. Das Parlament wird nicht mehr von Konservativen dominiert und die Kommunalparlamente setzen ebenfalls auf Fortschritt. Das Machtverhältnis zwischen Reformgegnern und Reformern ist pari.

Dies ist weniger ein Resultat der Politik Chatamis als des Willens der Bevölkerung, die Chatami im Engagement zur Reform vielleicht schon längst überholt hat. In vielem hat Chatami Irans BürgerInnen enttäuscht. Zu Beginn seiner Amtszeit neu gegründete liberale Zeitungen wurden wieder verboten, Dissidenten entweder ermordet oder inhaftiert oder ins Exil gedrängt. Dazu hätte der Präsident deutlich Position beziehen müssen. Doch er schwieg, statt seine Kampfansage an die Konservativen deutlich zu artikulieren.

Noch immer steht der Name Mohammad Chatami für die Hoffnungen der Mehrheit der IranerInnen. Diese gilt es zu erfüllen. Sollte der Präsident tatsächlich nicht mehr kandidieren, dann wird er als tragische Person in die Geschichte eingehen: als designerbebrillter Intellektueller und Diva eines politischen Eiertanzes. THOMAS DREGER