Grüne demonstrieren nur noch Einigkeit

Parteitag der Bündnisgrünen geht mit Jubel um Agrarministerin Renate Künast zu Ende. Zum Castor-Protest will die Partei zwar nicht animieren, teilnehmen werden Einzelne aber schon

Demonstrieren für den Atomausstieg und für den Atomkonsens gleichzeitg? „Das widerspricht sich, denn der Atomkonsens sichert lange Ausstiegsfristen“, sagt der Ex-Grüne Hanno Böck

STUTTGART/BERLIN taz ■ Die Grünen werden immer grüner, immer ökologischer, immer disziplinierter – und immer berechenbarer. Ihr Parteitag am Wochenende in Stuttgart war vor allem von einem geprägt: vom Willen zur Geschlossenheit.

Die Grünen haben den Einstieg in eine neue Landwirtschaft beschlossen, die grüne Verbraucherschutzministerin Renate Künast gefeiert, den Streit um die Atomtransporte endgültig beigelegt sowie die Linke Claudia Roth mit einem Traumergebnis von 91,5 Prozent zur neuen Parteivorsitzenden gewählt. „Wir haben als grüne Partei Profil gezeigt“, sagte Roth am Sonntag zum Abschluss des dreitägigen Parteitags.

Mit ihrer Entscheidung zu den umstrittenen Castor-Transporten haben die Grünen nach Aussage von Parteichef Fritz Kuhn deutlich gemacht, dass sie sich weiterhin als Anti-Atom-Partei verstehen. Die Grünen rufen ihre Mitglieder dazu auf, sich im Sinne der Ziele des Atomkonsenses an den friedlichen Protesten der Anti-Atom-Bewegung in Ahaus und Gorleben zu beteiligen. Aktionen, die sich direkt gegen den Atomkonsens wenden, lehnen die Grünen aber ab. Dies beschloss der Parteitag mit großer Mehrheit.

Das heißt, dass Grüne eigentlich nicht gegen, sondern für Castor-Transporte demonstrieren müssten – denn diese seien notwendig, um den Atomkonsens umzusetzen, so die grüne Logik. Im Parteitagsbeschluss heißt es: „Wir werden nicht zu Aktionen [. . .] aufrufen, die sich gegen den Atomkonsens wenden. Allerdings werden sich Grüne auch im Umfeld der Transporte an Demonstrationen beteiligen, die auf der Basis des Atomkonsenses für einen schnellstmöglichen Ausstieg eintreten.“

Atomkonsens und gleichzeitig schnellstmöglicher Ausstieg – für Hanno Böck, einst Mitglied im grünen Landesvorstand von Baden-Württemberg, ist das unlogisch: „Das widerspricht sich, denn der Konsens sichert den Kraftwerksbetreibern doch gerade lange Ausstiegsfristen zu.“

In dem Parteitagsbeschluss vom Wochenende heißt es ferner, dass die Grünen sich ausdrücklich für Demonstrationsfreiheit einsetzen. Dazu gehörten auch „die Mittel des zivilen Ungehorsams“ wie gewaltfreie Blockaden. „Ich halte das Mittel der Blockade für unverzichtbar“, meint denn auch die Grünen-Fraktionschefin in Niedersachsen, Rebecca Harms. Sie werde „selbstverständlich“ bei den Auseinandersetzungen Ende März dabei sein, sagte sie der taz. Den Parteitagsbeschluss wertet Harms als Erfolg: Es sei der grünen Basisarbeit und Solidarität mit der Anti-Atom-Bewegung rund um Gorleben zu verdanken, dass die „falsche Haltung des Parteirats“ korrigiert worden sei, der zuvor verbreitet hatte, Demonstrationen seinen „politisch falsch“.

Die Bezirksregierung von Lüneburg hat unterdessen für Ende März Demonstrationen an Bahnstrecken und Straßenzufahrtswegen nach Gorleben verboten. Das Verbot gilt für angemeldete Demos ab dem 27. März, für nicht angemeldete ab dem 24. März. Die Bürgerinitiative Umweltschutz in Lüchow-Dannenberg kündigte dagegen gestern prompt rechtliche Schritte an.

Die Grünen werden trotz ihrer Forderung nach Demonstrationsfreiheit aber auf keinen Fall zu Aktionen innerhalb der Verbotszonen aufrufen, erklärt Harms: Denn die Kosten für den Polizeieinsatz und mögliche Folgekosten müssten dann die Aufrufenden tragen. Niedersachsen hat den Bund und die Atomindustrie bereits aufgefordert, sich an den hohen Einsatzkosten zu beteiligen.

Um dafür nicht geradestehen zu müssen, hat die Anti-Atom-Initiative X-tausendmal quer beschlossen, nicht direkt aufzurufen, sondern lediglich zu publizieren, wann sie wo sein wird. „Ob wir damit durchkommen, wird sich zeigen“, sagt Initiativen-Sprecher Jochen Stay. Die Bäuerliche Notgemeinschaft Lüchow-Dannenberg hat ihre Treckerfahrt für den 25. März so rechtzeitig angemeldet, dass sie nicht unter das Verbot fällt. „Wir demonstrieren natürlich weiter. Die Beschlüsse der Grünen interessieren uns nicht“, resümiert Bäuerin Susanne Kamien.

BEATE STRENGE, JENS KÖNIG

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