Der Angriff der Nutella-Panzer

■ Wo aus Brotscheiben Waffen werden und an der Bar die tiefsinnigsten Gespräche geführt werden: Zehn junge KünstlerInnen aus Kyoto treffen in der GAK und im Künstlerhaus auf 13 StudentInnen der Bremer Kunsthochschule

Smalltalk während der vorletzten documenta: „Öööö, der Mario Merz ist doch vorbei. Ich verstehe nicht, warum die den hier noch so groß feiern.“ Für die KunstkonsumentInnen, die sich für die echten, wahren, hippen und völlig up-to-daten VertreterInnen ihrer Art hielten, war der Schöpfer von Iglus aus Zweigen (und Neonschrift-Zahlenkolonnen) schon 1992 ziemlich out. Trotzdem greift jetzt ein junger Bremer Künstler diese schillernde Ästhetik der Heimeligkeit wieder auf. In der Ausstellung „Saw you“, dem japanischen Gegenbesuch des „Boomerang Art Projects“ der Kunsthochschulen Kyoto und Bremen, hat Boris Reihle auch eine Art Merz-Iglu aufgebaut: Es ist ein überdimensionaler Katzenkorb ...

... in den man prompt verschwinden möchte. Für ein kleines Nickerchen. Oder um sich ein bisschen umzugucken.

Es ist bekanntlich ein weiter Weg von Kyoto nach Bremen. Und vielleicht deshalb hat die Ausstellung, die jetzt in der Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) und im Künstlerhaus am Deich eröffnet wird, so etwas wie ein Überthema bekommen. Zwar haben die zehn japanischen StudentInnen und ihre 13 deutschen KommilitonInnen in den letzten Wochen ihre Ideen unabhängig voneinander und dabei meist vereinzelt, teils in kleinen Gruppen realisiert. Doch „zufällig“ kamen dabei viele Arbeiten zum Komplex Heimat, Lebensverhältnisse und Behausungen heraus.

Von Boris Reihles Katzenkorb aus betrachtet, ist ein paar Meter weiter ein richtiges Igluzelt zu sehen. Darin hat Yasutaka Yamada gefundene Steine aus der Umgebung drapiert. Doch was findet man am Teerhof – wenn man wie Yasutaka Yamada oder auch Reinhard Fichtner zur Böschung hinabklettert und das Museum Weserburg mit dem Fahrrad umkurvt (oder diese ulkige Aktion später auf einem Videotape bestaunt)? Kaum Natursteine, sondern Menschengemachtes. Das Fazit: Der gemeine Bremer haust auf dem Müll oder den Produkten seiner Vorfahren.

Yasutakas Kommilitonin Haruka Matuo kehrt das Ganze in ihrem Blumenzwiebelförmigen „Iglu“ auf der anderen Seite der kleinen Weser im Künstlerhaus um: Kunstblumen wachsen aus dem Zelt hinaus und in die Stadt hinein (unter anderem in die Buchhandlung Sieglin im Steintor). Das ist poetisch, das ist schön. Ohnehin gilt: Die JapanerInnen legen mehr Wert auch auf Schönheit als ihre deutschen KollegInnen.

Kohei Nawa hat ein schön-amorphes Bild aus schwarzem Flüssigkleber an eine Wand der GAK gespritzt, Midori Hirose projiziert ein schön-scherenschnittartiges Video an eine nächste, und die Kyotoerin Karin Kawase hat Fotos ihrer Wohnung auf Stoffe ausgedruckt und daraus im Künstlerhaus schön-skurrile Kleidungsstücke hergestellt. So verpflanzen in dieser einfallsreichen Gruppenpräsentation die meisten AkteurInnen ein Stückchen Heimat ins ferne Europa.

Nur wenige junge KünstlerInnen thematisieren kulturelle oder sonst welche Unterschiede. Allein Yui Ishiymaa montiert verstörende Schriftzeichen rund um die GAK, die auch für JapanerInnen sinnlos sind. Und Astrid Nippoldt und Ralf Tekaat sind bei ihrem Kyoto-Besuch die Anleitungen zum Brotschmieren aufgefallen. Die haben sie in Bremen zu Foto-Text-Collagen weiterentwickelt, in der harmlose, mit Nutella oder Marmelade beschmierte Roggenbrotscheiben plötzlich wie Panzer aussehen. Merke: Nichts scheint so, wie es ist.

Zur Verarbeitung dieser Eindrucksfülle bietet der Katzenkorb nicht genug Platz. Dafür gibt es aber als wohl originellsten Beitrag dieser Ausstellung eine Bar. Hops Bornemann hat sie während des Kyoto-Besuchs der BremerInnen im Herbst dort ausgemessen und nun in einer exakten Kopie im Künstlerhaus eingerichtet. In ihren japanischen Größenverhältnissen ist sie behaglich bis beengt.

Wenn in der Kyotoer Originalbar die Musik an- und das helle Licht ausgeschaltet wurde, wechselte sofort die Stimmung. Mit Konzerten und Auftritten von DJs will Bornemann das auch in Bremen erreichen. So hat einer der Weiterentwickler der Mario-Merz-Ideen endlich ein benutzbares „Iglu“ geschaffen. Im Gegensatz zum (nur beguckbaren) Katzenkorb schenkt der Künstler hier auch aus und – (small-) talkt unter anderem auch über Kunst. ck

„Saw You“ bis 15. April in der GAK, Teerhof 21, und im Künstlerhaus, Am Deich 68. Symposium über zeitgenössische japanische Kunst am 17. März um 17 Uhr im Gästehaus der Universität, Teerhof 58. Programm in der Bar im Künstlerhaus bis zum 24. März mittwochs, freitags und samstags abends.