Kein Museumswärter...

... sondern bravouröser Bewahrer des Bossa Nova: Marcos Valle im Mojo  ■ Von Oliver Rohlf

Es ist ein Klischee, aber ein Wohlklingendes: Bossa Nova hilft, wenn es einmal leicht und locker von der Hand gehen soll. Sei es als Brasil-Soundtrack zum perfekten Rama-Frühstücks-Happening mit ausgeschlafenen Freunden und frischgepresstem O-Saft oder als angemessene Beschal-lung für den nachmittäglichen Espresso-Müßiggang. Das sanfte Zirpen der Bossa Nova-Originale steht bei Lounge-Szenarien aller Art treu zur Seite. Allerdings ein Zeitvertreib mit Kitsch-Gefahr: Wer nicht aufpasst, droht aus bloßem Kaffeetrinken mit passender Musik leichtfertig ein transatlantisches Fernweh nach Sonne, Rio de Janeiro und wunderschönen Menschen zu machen. Einmal mehr düst dann das historische Kennwort Sehnsucht durch die Membranen seiner Infizierten: Stets wird und wurde an allem, was nach Süden und weit weg riecht, so lange herumgekünstlert, bis das Glück in die eigenen vier Wände passte. Auch große Teile der internationalen Easy-Listening-Bewegung der 50er bis 70er haben so lange an den komplexen Bossa-Arrangements gearbeitet, bis sie die Welt von „Hamburg nach Haiti“ umarmen konnten. Von den singenden Greisen aus Kuba ganz zu schweigen.

Dass Bossa Nova ebenso wie die große Welt des Latin dabei weit mehr ist als Gebrauchsmusik für Leute, denen es wohl zu gut geht, ist zumindest jenen Menschen klar, die dem Phänomen namens Alltag auf jene Weise ein wenig auf die Sprünge helfen wollen. Sei es als Fan, Plattenaufleger oder Musiker. Und just diesen Kulturgestaltern von Gevatter Werktag droht am kommenden Mittwoch nun wahrlich Historisches. Denn viele dieser sanften Riesen des Bossa der 60er eint ein KGV im tragischen Sinne. Hießen sie nun Antonio Carlos Jobim, Elis Regina oder Baden Powell (um nur drei zu nennen): Sie alle sind nicht mehr. Und fast scheint es so, als sei der Songwriter, Sänger und Gitarrist Marcos Valle einer der letzten dieser einst so großen Zunft, der der Welt noch live-haftig verkünden kann, wie es damals war, als sich im Brasilien der späten 50er und frühen 60er Jazz, Samba und Pop im Zuge der „Neuen Welle“ (Bossa Nova) einander die Wangen rieben. Und Valle könnte damit Abende füllen, wenn man ihn ließe.

Denn der blonde Brasilianer aus Rio kannte sie alle und war mittendrin. Bereits mit 19 Jahren als bes-ter (Nachwuchs-) Komponist des Landes ausgezeichnet, veröffentlichte Valle 1963, inmitten des Bossa-Hypes, sein Brasilien-Debüt Samba Demais und diente nur zwei Jahre später dem großen Pianisten und „Mas, Ce Nada“-Verfasser Sergio Mendes als Toursupport. Da sich internationale Karrieren seit jeher über den Erfolg am amerikanischen Plattenmarkt definieren, tat auch Valle 1966 gut daran, als einer von mehreren die US-Früchte der Vorarbeit seiner unmittelbaren Wegbereiter Joao Gilberto, Jobim, Walter Wanderly und vor allem Stan Getz und des Jazz-Gitarristen Charlie Byrd zu ernten. Valle glänzte neben dem großen Crooner und Entertainer Andy Williams in dessen eigener TV-Show und ließ Bossa-Boss Wanderly seinen Hit „So Nice“ (eigentlich „Summer Samba“) im Sommer 1968 in die Top 40 der Staaten orgeln. Im gleichen Jahr veröffentlichte Valle auch sein bis dato einziges US-Album auf Verve. Samba 68 geht auch heute noch als wunderbares Einstiegswerk durch und enthält selbstredend auch jenen Hit, der für Valle so wichtig war wie das „Girl from Ipanema“ für Astrud Gilberto: „Cricket Sing for Anamaria“, ein wunderbar tänzelndes Duett zwischen Marcos und seiner Frau Anamaria.

Dass es seit Mitte der 70er zumindest auf internationaler Ebene etwas stiller um Valle wurde, mag zum einen am schwindenden Interesse am Bossa Nova allgemein gelegen haben. Zum anderen aber versuchte sich Valle in dieser Phase auch an zeitgenössischeren Klängen und nur sekundär interessanten Zusammenarbeiten mit den überdrehten Brasil-Afro-Funkern von Azymuth oder gar Chicago, und er verfasste die Titelmelodie der brasilianischen Version der Sesamstraße.

Hierzulande ist der Valle des dritten Jahrtausends neben einigen gut sortierten Kompilations leider nur über englische Importware zu bekommen. Auf seinem neuen Album Escape beweist der fast 60-jährige Valle, dass Bossa Nova lo-cker so alt wie jung klingen kann. Vor allem aber souverän. Ein bravouröser Bewahrer seiner selbst, wahrlich kein Museumswärter.

Mittwoch, 20 Uhr, Mojo Club