Psychologie und Schlagstock

■ 170 Bremer Beamte fahren demnächst ins Wendland, um die Castor-Strecke zu sichern / Zug 221 sprach mit der taz über Gruppendynamik und die Angst vor Murmeln

Bereitschaftspolizei, Niedersachsendamm 78/80, Aula. Große Holzbuchstaben neben dem Eingang wünschen „Herzlich Willkommen“. Eine Laubsägearbeit. Drinnen Resopaltische, schmutzfarbene Linoleumböden, in einer Vitrine Wappen und Zinnteller, die der Polizeichor mit nach Hause gebracht hat. Auf abgeschabten Klappstühlen sitzen sechs Polizeivollzugsbeamte, Zug 211, und reden über ihre Gefühle. Thema: Der Castor-Transport Ende des Monats, an dem sie mit über 160 Bremer Kolleginnen und Kollegen teilnehmen werden.

Die Situation ist einigermaßen grotesk: Fünf Männer und eine Frau in Dienstpullover oder Schlips und Kragen, flankiert von drei Vorgesetzten, vorne die Presse. Eigentlich hätten geschulte „Konflikt-Manager“ aus Niedersachsen berichten sollen, mit welchen Konzepten die 20.000 Mann starke Staatsmacht gegen Castor-Gegner vorzugehen gedenkt. Das Problem: Das Duo ist schon wieder abgereist. Also darf – respektive muss – die Basis ran, damit die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit nicht total ins Wasser fällt. Einsatzbefehl: Transparenz und Offenheit!

„Als ich mich für den Beruf entschieden hab', war klar: Der Castor gehört dazu“, sagt Polizeimeister zur Anstellung Schmidt, Guido, 25. Für die Frage, ob es Sinn macht, die Transportstrecke nach Gorleben mit wahnwitzigem Aufwand gegen Sabotage, Barrikadenbau und anderes Umgemach zu schützen, ist da nicht viel Platz. Von „Störern“ ist die Rede, von Straftaten, die man verhindern müsse, vom Demonstrationsverbot fünfzig Meter links und rechts der Strecke. Aber auch davon, dass es alles andere als spaßig sei, tagelang seine Familie nicht zu sehen, weil man „das Ding“ sichern müsste. „Wenn ich in einer so schönen Gegend wohnen würde“ und der Castor käme, sagt einer der Sechs, „dann würde ich mit allen rechtlichen Mitteln dagegen angehen“. Aber keinen Schritt weiter.

Der Castor-Transport, bei dem die Bremer mit einer Hunderschaft nebst „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit“ sowie schwerem technischem Gerät – Wasserwerfern – zur Stelle sein werden, bedeutet für die Beamten körperliche Maloche, Angst vor Stahlkugel- oder Murmelbewehrten „Militanten“ und menschlichen Stress – so die Binnensicht der Truppe in der Aula, die erst zum Teil Erfahrungen mit den umkämpften Atomtransporten hat.

Was tun beispielsweise, wenn ein Demonstrant kommt und Dich anstarrt. Direkt in die Augen, minutenlang. „Irgendwann wird man reagieren“, sagt Polizeihauptmeister Stephan Rother, 39, „dann muss man sein eigener Konfliktmanager sein“. Zugführer Heiner Denker, 50, erinnert sich an einen Einsatz, bei dem ihn zwei alte Leute gefragt hätte, ob er sich nicht schäme, „was ihr hier mit uns macht“. Er habe keine Antwort gewusst. Insgesamt 160 Betreuer – Psychologen, Pastoren und andere Spezialisten – werden möglicherweise desorientierten Uniformträgern demnächst im Wendland zur Seite stehen. Devise: Lass Dich beleidigen!

Überhaupt klingt vieles, was Denker und seine Mannschaft berichten, merkwürdig gruppendynamisch. Worte wie „Rücksicht“ und „soziales Gefüge“ fallen, wenn es um das extrem beengte Leben in den Kasernen nahe der Transportroute geht. Schwierige Einsätze ließen die Gruppe zusammenrücken, „da hat jeder jeden gestützt, eine tolle Erfahrung“. Eine ordentliche Sitzblockade von drei- bis vierhundert Leuten aufzulösen, sei schließlich Schwerstarbeit – auch wenn man die richtigen Griffe beherscht.

Immerhin: „Reisende Chaoten“ gebe es heute viel weniger als noch in den gewalttätigen 80er Jahren. Die Demonstrationen seien friedlicher geworden. Und die Bereitschaftspolizisten irgendwie „sensibler“, wie einer der Bremer Beamten festgestellt haben will – gerade, seit Frauen zur Truppe gehören würden. Ihren praktischen „Mehrzweckeinsatzstock“, kurz MES, haben die Männer und Frauen im martialischen Kunststoffpanzer dennoch im Gebrauch. Herzlich Willkommen. hase