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: Chocolat

Sie hat schon viele gerettet: die Traurigen, die Witwen, die Erblindenden, die Obdachlosen, die Kriegsversehrten. Kamen sie auch nicht immer mit dem Leben davon, waren doch ihre Seelen gut verpflastert und bereit für die zwar kurzen, aber erhabenen Momente des Glücks. Juliette Binoche, die heilige Johanna der Unterpriveligierten, die Virtuosin karitaven Martyriums.

Mit ihr zog eine ewig mädchenhafte, aber tapfere Sinnsoldatin auf die Leinwand, die sich so lange mit jedem Schmerz abrackert, bis sie in ihm ihre Bestimmung findet. Meistens sieht sie etwas waidwund und erschrocken aus, als könnte sie jeden Moment das Schicksal wieder ordentlich zusammenstauchen. Mit Wasser in den Augen und einer in Agonie bebenden Unterlippe, die dunklen Haare um ein blasses Gesicht geschmiegt – so kennen wir unsere Binoche. Als das Schneewittchen des französischen Kinos. Und daran kann auch ein Film wie „Chocolat“ von Lasse Hallström nichts ändern.

Als Vianne eröffnet Juliette Binoche in einem französischen Kaff in den späten 50er-Jahren eine Chocolaterie. Gegenüber der Kirche und mitten in der Fastenzeit. Auch die Staatsmacht sorgt sich um womöglich um sich greifende Enthemmungen und Genusssucht. Denn Viannes Pralinen sind nicht irgendwas zum Naschen. Lena Olin mit schmerzgeweiteten Augen verhelfen sie zu einem Leben fern dem prügelnden Gatten, einen Jungen regen sie zum Malen, andere zum Liebesspiel an. Und einer Diabetikerin verhelfen sie zum süßen Tod. Binoche steht geputzter als der Laden hinter dem Thresen oder schwebt lächelnd mit ihrer kleinen Tochter durch die putzigen Bilder. Manchmal sagt sie so Sachen wie: „Es ist nicht einfach, anders zu sein.“ Und dann nickt der Abo-Zigeuner Johnny Depp, zupft an seiner Gitarre und Binoche lächelt. Ein Sonnenscheinchen mit ungewohnt rosigen Backen, aber schwerer Kindheit.

Im Traum lässt Lasse Hallström Vianne deshalb eine Familientherapie angedeihen, damit sie sich von der schweren Last diverser Maya-Missionen und einer zum Nomadenleben verdammten Mutter befreien kann. Denn dagegen gibt es keine Nascherei. Nur die Routine des Leidens. Den erschrockenen Blick, die bebende Unterlippe. Wie immer. Aber diesmal in einem weltlosen Film, voller Puderzucker und Eischnee. Es gibt Filme, meinte Alfred Hitchcock, die sind wie ein Stück Kuchen. Ein Film wie „Chocolat“, der schmilzt nicht in der Hand, aber im Hirn.

BIRGIT GLOMBITZA

„Chocolat“. Regie: Lasse Hallström. Mit Juliette Binoche, Johnny Depp u. a. USA 2000, 121 Min.