„Die Kinder haben meist zwei Pässe“

Viktoria Lokau, Rechtsexpertin im Verband binationaler Familien (IAF), zum Sorgerecht in verschiedenen Ländern

taz: Kommen drastische Auseinandersetzungen zwischen geschiedenen Eheleuten um ihre Kinder wie im Fall des Ägypters, der seinen Anspruch auf die Kinder durch die Entführung von Touristen erzwingen will, in Ihrer Praxis häufig vor?

Viktoria Lokau: Nein, aber sie sind medienwirksam.

Die Mutter hat durch ein deutsches Gericht das vorübergehende Aufenthaltsbestimmungsrecht der beiden Söhne in Deutschland erhalten. Welche Rechtswirksamkeit hat das?

Das heißt, dass derzeit der Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Mutter in Deutschland ist.

Wie könnte die Entscheidung des deutschen Gerichts zustande gekommen sein?

Wenn die Kinder eine Zeit lang in Deutschland waren und die Frau zu einem Familiengericht geht und sagt: „Die Kinder fühlen sich hier wohl, und mein Mann hat angedroht, sie nach Ägypten zurückzuholen, und die Kinder wollen es nicht“, dann könnte das Familiengericht nach einer eidesstattlichen Versicherung der Mutter die vorläufige Aufenthaltsbestimmung aussprechen.

Die Frau hatte in Äypten geheiratet und bis zu ihrer Scheidung 1999 mit ihrer Familie dort gelebt. Was sagt das ägyptische Recht dazu?

In den Ländern mit islamischem Familienrecht geht das Sorgerecht von vornherein an den Mann.

Welche Chancen hätte der ägyptische Mann jetzt, die Kinder wiederzubekommen?

Der Vater müsste hier seine Ansprüche in einem Sorgerechtsverfahren geltend machen. Er müsste vertreten, warum er meint, die Kinder seien besser in Ägypten aufgehoben.

Hätte er reale Chancen?

Jetzt, nach all den Ereignissen wahrscheinlich nicht mehr. Prinzipiell aber auf jeden Fall mehr Chancen als die Ehefrau vor einem ägyptischen Gericht. Hier käme es sehr auf die Aussagen der Kinder an.

Und wenn der Mann nicht Touristen, sondern die Kinder entführt hätte?

Dann wären sie weg. Es ist schwer, dann etwas zu machen.

Was ist mit dem Haager Entführungsabkommen?

Es ist nicht einfach, Kinder aus Ländern, die dem Abkommen beigetreten sind – europäische Länder, die USA, Kanada und einige südamerikanische Länder –, zurückzuholen. Aber aus dem Maghreb oder anderen islamischen Ländern, die nicht beigetreten sind, ist es extrem schwer.

Durch eine Gegenentführung?

Vielleicht. Die Schwierigkeit ist, dass die Kinder aus binationalen Ehen zu 98 Prozent zwei Staatsangehörigheiten haben. Das heißt: In Deutschland zählt für sie das deutsche Recht und in Ägypten das ägyptische Recht.

Wie war das bei den Beckers und ihrem „Kinderkrieg“ in den USA?

Da war auch das Haager Abkommen über Kindesentführung im Gespräch. Es gibt in jedem Land eine Behörde, die zuständig ist für die Durchführung des Abkommens. Wenn mein Kind nach Kalifornien entführt würde, könnte ich mich an die dafür zuständige Behörde wenden. Sie würde Anträge formuliern, einen Anwalt einschalten, und sie könnte sich sofort in ein Verfahren einklinken.

Fazit: Binationale Ehen sind heute normal, aber bei der rechtlichen Absicherung gibt es Lücken?

Das Problem ist, dass das Familienrecht der einzelnen Länder sehr unterschiedlich geregelt ist. Es würde deutschen Frauen wenig nützen, wenn man sagen würde: Das islamische Familenrecht gilt.

Ist man da im vereinten Europa weiter?

Da strebt man eine Anerkennungspflicht an. Früher hat man in Frankreich so entschieden und in Deutschland anders. Dann hat man sich gegenseitig die Kinder entführt, weil jeder auf sein Recht pochte: Die Frau hatte das Sorgerecht in Deutschland, der Mann in Frankreich.

Was hat sich verändert?

Dass in bestimmten Fällen die Entscheidung des Gerichtes, das zuerst entschieden hat, beidseitig anerkannt wird. Wichtig dabei sind die Staatsangehörigkeit und der letzte Wohnsitz. Dieses Gesetz, das am 1. März 2001 in Kraft getreten ist, lautet „Verordnung über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten“.

Hört sich kompliziert an . . .

Ist es auch.

INTERVIEW: EDITH KRESTA