Immer wühlen und vorne voll druff

■ Mit Harry im Wagen lässt sich der Verkehr ertragen: Marcel Rath pflügt durch gegnerische Abwehrreihen und soll mit Toren gegen Chemnitz dem FC St. Pauli Platz drei bewahren

Zu Saisonbeginn unterschrieb er einen Zwei-Jahres-Vertrag beim FC St. Pauli. „Ick hab' det Gefühl, ick wär schon seit Jahren hier“, fühlte Marcel Rath sich bereits nach wenigen Tagen am Millerntor heimisch. Bei einem Testspiel kam er im August nach seiner Auswechslung auch prompt mit einer Bratwurst auf die Ersatzbank. Anpassungsprobleme kennt der gebürtige Frankfurter (Oder) nicht. Lediglich bei seinem letzten Club Energie Cottbus geriet er mit Trainer Eduard Geyer im Drei-Wochen-Takt aneinander. „Der hat behauptet, dass ich schwierig sei, dabei habe ich nur meine Meinung gesagt.“ Jürgen Röber dagegen, Coach seiner ersten Profi-Station Hertha BSC Berlin, lobt den engagierten Angreifer in höchsten Tönen: „Der geht mit dem Kopf dahin, wo manch anderer nicht mal den Fuß hinhält.“

In der ersten Etage des Eidelstedter Mehrfamilienhauses trinkt Udo Jürgens bereits seit Minuten „Griechischen Wein“ in ohrenbetäubender Lautstärke. Hier wohnt er vorerst alleine: Erst im August werden Freundin Yvonne und die zweieinhalbjährige Tochter Josephine in die Hansestadt ziehen. Zunächst einmal, so beschloss das Paar, soll sie ihre Ausbildung zu Ende bringen. Draußen vor der Tür ist es ungemütlich, der Wind peitscht Regen ins Gesicht. Marcel Rath stört das miese Wetter und die laute Musik seines Nachbarn wenig. „Ick hab damit keen Problem“, versichert er, „wenn alle mitsingen können, ist das immer gut.“ Schließlich ist Rath selbst Fan des deutschen Schlagers.

Der Weg zum Fototermin nach Eppen-dorf wird jäh unterbrochen. Keine zehn Meter weiter, in der Nässe wartend, steht Jean-Clotaire Tsoumou-Madza am Fußgängerüberweg. Der ehemalige Abwehrhüne des FC, der gerne Urlaub macht und daher vor einiger Zeit aus dem Kader flog, wohnt hier gleich um die Ecke und kommt vom Einkaufen. Kurzes Klönen, weiter zum VW-Bus, vorne an der Kreuzung springt die erste Ampel schnell auf rot. Mit den Verkehrslichtern stehe er auf Kriegsfuß, erzählt Rath. Es blitzt häufiger, als es ihm lieb ist. Sein Spitzname Harry, das Kampfschwein gefalle ihm da schon eher. Schließlich passe der ganz gut zu seiner Art Fußball zu spielen. „Ein bisschen wie Ulf Kirsten, immer wühlen und vorne voll druff.“ Harry heißt sein Vater, auch heute noch Trainer bei Stahl Eisenhüttenstadt, wo auch der Sohn für den einstigen Regionalligisten kickte, ehe die Späher von Hertha BSC Berlin auf den 25-Jährigen aufmerksam wurden. Wenn Rath auf dem Fußballplatz ist, schont er die eigenen Ressourcen nie. Manchmal verausgabt er sich so, dass man ihm von außen eine Zwangspause verordnen möchte. Die Gegner, das soll der Vollständigkeit halber hinzugefügt werden, bekommen auch ihr Fett weg.

Feierabendverkehr bedeutet heute wieder Stop-and-Go, ein Rhythmus, den der einstige U 20-Nationalspieler nur zu gut aus dem Fußball kennt. Denn mit dem Sprung in die Erstklassigkeit wollte es noch nicht so recht klappen. Sowohl in Berlin – ein Kreuzbandriss – als auch in Cottbus – „Der Verrückte“, also Ede Geyer – kam etwas dazwischen. Rath half zwar jeweils beim Aufstieg mit, durfte in der ersten Liga dann jedoch „nicht mitmachen“. Auch weil der gelernte Energie-Elektroniker keinem Zweikampf aus dem Weg geht. Über das Verletzungsrisiko schweigt Harry sich aus. Er geht lieber drauf – wenn man ihn lässt. Doch in der Niederlausitz hatte er es gegen Ende der letzten Saison richtig satt: „Wenn du morgens aufstehst und keine Lust mehr auf Training hast, musst du dir einen neuen Verein suchen.“

Seine Entscheidung freut ihn heute – acht Monate später – um so mehr. Beim FC St. Pauli scheint Raths Knoten endlich geplatzt zu sein: In 19 Partien erzielte er bereits zehn Treffer. Die Sympathien der Fans hatte er ob seiner draufgängerischen Art von Anfang an sicher. Unvergessen bleibt das Spiel gegen den LR Ahlen vor der Winterpause, als auf seinem mit Rasenflecken und Linienkalk verschmierten Trikot gerade noch so eben das th zu lesen war. Der wendige Stürmer steuerte alle drei Treffer zum 3:2-Sieg bei und die St. Paulianer überwinterten auf einem Aufstiegsplatz.

Sämtliche Schleichwege zum Trainingplatz, um dem täglichen Verkehrschaos zu entgehen, kennt er bereits. Fischmob hip-hopt im Radio als die Fahrt zu Ende geht – Hamburger Schnack trifft auf Berliner Schnauze. „Keen Problem“, meint Marcel Rath und greift noch schnell zum Handy, um mit seinem Teamkollegen Nico Patschinski die aktuellen Sportwetten zu platzieren. Auf der Treppe zum Fotostudio erzählt er noch schnell die Geschichte, wie er seinen Muste-rungsbescheid ignorierte, um den Bundeswehrdienst zu verweigern. „Als das nicht klappte, wollten die mich in den Heeresmusikcorps stecken“, sagt er und rätselt noch heute warum: „Vielleicht hätte ich bei denen als Einheizer getaugt.“

Oliver Lück

Sonntag um 15 Uhr am Millerntor spielt Marcel Rath mit dem FC St. Pauli gegen den Chemnitzer FC