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: Models, Chefredakteure und andere Zombies im 103

Das Ende des Glamours

Das WMF feierte bereits vor wenigen Tagen sein zehnjähriges Jubiläum, der Tresor tut es ihm an diesem Wochenende gleich – was feiert man eigentlich im 103? Neulich dort gesehen: Giovanni di Lorenzo. Der weltgewandte Neuberliner, Talkshowmoderator und Chefredakteur des Tagesspiegels bewegte sich in seiner ihm eigenen Art zum Rhythmus der Musik, während eine blonde Begleiterin vor ihm stand und schüttelte, was sie hat. Man mag es eigentlich kaum niederschreiben, aber es war ungefähr so, als würde man seinen Eltern beim Sex zuschauen. Man weiß zwar, dass sie es tun, doch irgendwie ist man den ganzen Tag damit beschäftigt, diese Tatsache zu verdrängen. Das Restpublikum sah aus wie operiert oder verkleidet und spielte dem Anlass entsprechend Party.

Ebenfalls anwesend: Milla Jovovich. Seltsamerweise trifft man das schauspielernde Model, das Gerüchten zufolge auch im Musikbereich eine Karriere anstrebt (angeblich ist eine Zusammenarbeit mit Kruder & Dorfmeister im Gespräch, wer sonst!), derzeit überall. In so genannten Szene-Treffpunkten und – in diesem Zusammenhang sehr passend – österreichischen Restaurants. Nur nicht im Tresor.

Wir haben diese und andere Zeichen gesehen und gedeutet und vermelden im Rahmen unserer regelmäßigen Trendberichterstattung daher aus aktuellem Anlass das Ende von Glamour und Fashion. Der Nietengürtel hat als funkelnde Insignie käuflich erworbener Streetcredibility zunächst das WMF zur Bühne eines blutleeren Kulissenspiels im Dienste der vermeintlich schillernden Abendunterhaltung verkommen lassen, das 103 folgte dem Weg und ist nun kaum mehr als eine kalte Begegungsstätte für Zombies und Start-up-Unternehmer dieser Stadt. Deren Anwesenheit entzieht einem jede Lebensenergie, wie in einer Computerspielgrafik sieht man sie rasant vor dem inneren Auge schwinden. Es gibt nur eine Chance: Verlassen Sie die Spielebene JETZT! Doch wohin?

Lesen wir den Tresor-Geburtstag als Zeichen und Hinweis für den richtigen Weg. Zwar mag er zunächst als Rückschritt erscheinen, doch tatsächlich ist er der Sprung nach vorn. Denn in den vergangenen Jahren, als Techno als die uncoolste Tanzmusik der Gegenwart galt, haben sich unbemerkt von der Öffentlichkeit der Tresor und auch das Ostgut samt seiner wunderbaren Panoramabar zu Orten entwickelt, die den im Nachtleben paradigmatischen Zangengriff von Sophistication und Trendbewusstsein offenbar überwunden haben. Spaß ist hier nicht Schein, Einbildung und Fassade, sondern Arbeit und in dieser Hinsicht auch real. Im Dickicht des Trockeneisnebels sieht man plötzlich die Silhouetten ewiger Werte. Denn schließlich ist es doch so: Die einzig harte Währung in dieser bankrotten Welt sind die Momente, die wir miteinander teilen, in denen wir nicht cool sind. HARALD PETERS