■ Rosi Rolands Bremer Geschichten: Keiner liebte „ell“
Es gibt in Bremen Menschen, die wollen in ihrer Lokalzeitung nicht nur sehen, wie bunt die zusammengefegten Herbst-Blätter sind und wie schön unser Bürgermeister sich mal wieder das nächstbeste Kind auf den Arm gesetzt hat. Immerhin ist Bremen ja eine Landeshauptstadt, und da wird Politik gespielt. Landes- und Kommunalpolitik Im Weser Kurier gab es dafür in den vergangenen zwei Jahren einen Namen: „ell“. Bürgerlich ausgesprochen: Silke Hellwig. Daher ist es eine Nachricht, wenn „ell“ geht. Sie hat nichts Anderes, nichts Besseres, heißt es, die Landespolitik-Journalistin hat einfach die Nase voll. Frust. „Persönliche Gründe“, sagen einige Männer. Wie Männer so sind. Meine Freundin Eva sagt: „Männer finden immer, dass eine Frau persönliche Probleme hat, wenn sie mit Ehrgeiz ein Ziel verfolgt und nicht nur ihren Feierabend und ihre Familie im Kopf hat.“ Männer, die sich nie trauen würden, eine Konsequenz aus einer unbefriedigenden Situation zu ziehen.
Im „Pressehaus“ kursieren nämlich ganz andere Geschichten über das harsche Ende dieser Karriere: Silke Hellwig ist isoliert, weil sie so viel gearbeitet hat. Wenn es drei Lokalseiten gibt und zwei schreibt „ell“ voll, dann bleibt für 20 andere KollegInnen nur der Papierkorb. Die Chefs lieben „ell“, weil sie immer sagen können: „Guckt euch doch mal die an“, aber sie lieben auch nicht die Unruhe im Haus. Denn „ell“ wollte, dass die Chefs den anderen klarmachen, dass sie auch so arbeiten sollen wie sie – zehn Stunden am Tag. Was die reine Papierverschwendung wäre, aus Verlegersicht.
Aber: Wie soll man über 70 Seiten Rechnungshofbericht auf nur 30 Zeilen schreiben? Das sind Fragen. Soll man, sagt der Chef, weil das sowieso keinen interessiert und der Rechnungshof ja jedes Jahr berichtet, und man hat also schon Dutzende von Zeilen darauf verschwendet hat. Sollte etwa der Text über den Dackel, der der alten Dame quer über die Straße weggelaufen ist, dafür rausfallen? Oder soll das Farbfoto, auf dem sie ihn glücklich wieder in Händen hält, wegfallen? Oder soll die Kampagne gegen den Großmarkt, mit der sich der Weser Kurier mitten in der Waller Lesergunst positioniert, einen Tag ausgesetzt werden? Undenkbar. Damit erreicht der Weser Kurier seine Leser, nicht mit zwei Seiten „ell“!
Wenn Chefs so kommen, geht eine engagierte Lokal-Redakteurin wie „ell“ auf die Palme. Und zu einem Blinker auf dem Tanker wollte sie sich auch nicht machen lassen. Also geht sie. Die Chefs versuchten sie mit leeren Versprechungen zu halten, aber die Frau in Rage war damit nicht mehr erreichbar.
Übrigens sah sie an dem Tag, an dem sie ihre Kündigung abgeliefert hatte, ganz entspannt und glücklich aus, bemerkte
Ihre Rosi Roland
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen