„Erfolg in fast astronomischen Höhen“

Der Berliner Schriftsteller Ahne war bisher vor allem als Mitglied der Reformbühne und des Schokoladens bekannt. In diesem Frühjahr erscheint sein Erzählband „Wie ich einmal die Welt veränderte“ – „Man kann sagen: Ich bin sehr zufrieden. Ich will aber nicht sagen, wie viel Geld ich heute verdiene“

Interview FALKO HENNIG

taz: Erinnerst du dich noch, wie es war, als du zur Reformbühne kamst?

Ahne: Ziemlich gut, ich war mit einem Bekannten zum ersten Mal eingeladen worden, da was zu machen. Ich war bis dorthin noch nie aufgetreten überhaupt, hatte noch nie was öffentlich vorgelesen von meinen Texten. Wir kamen dann in den Schokoladen, das war so eine Gruppe, „Reformbühne Heim & Welt“, die das schon längere Zeit machten. Wir beide durften uns nicht zu ihnen mit an den Tisch setzen. Unsere Stühle waren zwar auch mit auf der Bühne, aber wir mussten uns hinten an den Wandrand setzen und wirkten etwas deplatziert.

Das ist doch sehr sonderbar.

Ja, ich weiß auch nicht, ob das schon Satire sein sollte, keine Ahnung. Später wurde das auch nie wieder gemacht mit einem andern Gast. Wir waren die Einzigen, mit denen man dachte, es so machen zu können.

Du hattest da schon Texte?

Ja, ich schreibe so seit meinem 14. Lebensjahr irgendwelche Sachen.

Und was waren das für Texte?

Ziemlich obskure, also heutzutage würde ich die nicht wieder vorlesen. Der eine handelte von einer Untertasse, die durch den Raum flog und sich in Hälsen festbiss und Blut aussaugte.

So was kommt doch immer gut an.

Die Texte müssen halbwegs gewirkt haben, so dass man uns nicht gleich wieder davonjagte.

Erinnerst du dich so noch an deine Lebenssituation damals?

Ich bekam Arbeitslosgeld, weil ich in der DDR Drucker gelernt hatte und zu meinem Glück gleich nach der Wende entlassen wurde. Der Betrieb ging ein, es handelte sich um die Druckerei des Neuen Deutschland, eine in der DDR sehr beliebte Tageszeitung, die aber leider durch die kapitalistische Übernahme der DDR zu Grunde ging. Ich glaube, der Sommer begann gerade. Es war sehr warm, etwas schwül war es gewesen, ich glaube, die ersten Regentropfen kündigten sich an. Vorher war eine lange Trockenperiode, ich glaube, anderthalb Monate hatte es nicht geregnet. Ein Sommer, wie er früher halt noch war. Heute kann man ja eigentlich nicht mehr von einem Sommer reden.

Welches Jahr war das?

Das war, ich glaube das Jahr 1994, oder 95? Entweder 94 oder 95. Also Helmut Kohl war auf jeden Fall an der Regierung.

Aha, das grenzt es ja schon schön ein. Außer dass du arbeitslos warst und gut Geld bekamst, wie war sonst so deine Lebenssituation?

Ach, ich hatte viele Freundinnen.

Gleichzeitig?

Ja, teilweise. Manchmal auch hintereinander. Ich führte ein ziemlich sorgloses Leben. Wir haben Häuser besetzt. Nahmen an Demonstrationen teil, glaubten daran, alles verändern zu können, einfach auch allein durch unser Leben. Die Welt besser machen zu können.

Stimmt das?

Ja, wenn ich mich richtig erinnere, stimmt das. Der Abwasch türmte sich bei mir zu Hause immer. Und ich fand’s auch noch schön, so Schimmel und Maden im Pferdefleischeimer, wir hatten damals so einen Pferdefleischkochtopf. Das muss in demselben Jahr gewesen sein, im Sommer auch. Wir hatten so einen großen Hund, einen Riesenschnauzer. Und für den mussten wir immer Pferdefleisch kochen, was wir immer von einer Pferdeschlächterei in Weißensee abholten, die jetzt leider auch durch den Kapitalismus untergegangen ist. Wir kochten eigentlich immer eine große Portion, die normalerweise mehrere Wochen reichen sollte. Eines Tages muss ein Mitbewohner in meiner damaligen WG, die heute immer noch meine WG ist, den Eimer einfach in eine Kammer gestellt haben. Es war sehr warm, wie gesagt, und irgendwann saßen wir am Tisch und hörten so ein merkwürdiges Klappern aus dieser Kammer. Als wir die dann aufmachten, da merkten wir, dass der Eimer wohl lebte. Die Maden hatten sich so vermehrt, dass sie allein durch ihr Gewimmel den Deckel immer anhoben.

Hat der Hund die Maden dann noch gegessen?

Nein, ich glaube, die haben die Ratten dann gegessen. Weil, wir konnten es auch nicht in der Toilette entsorgen. Draußen haben wir einen Gullydeckel angehoben und dort alles entsorgt.

Und warum wurde da Pferdefleisch geholt? War das so ein Feinschmecker, der Hund?

Das war einfach billiger. Und wir mussten ja auch irgendwie leben. Außerdem war der Hund natürlich Feinschmecker. Es war ein russischer Hund, ein Offiziershund, der eines Tages aus dem 4. Stock gesprungen ist, so sagte man uns jedenfalls, und in der Charité wieder zusammengeflickt wurde. Und wir wollten eh einen Hund und bekamen den dann zugesprochen, nachdem wir schwören mussten, dass wir ein großes Gartengrundstück an unserm Haus haben.

Das war doch gelogen?

Ja, man kann natürlich auch gelogen dazu sagen. Man kann aber auch sagen: Uns lag das Wohl dieses Hundes so am Herzen, dass wir die Unwahrheit sprachen.

Was waren die Hauptveränderungen, die das Showbusiness seitdem bewirkt hat? Damals gab es doch in deinem Freundeskreis sicher viel Bewunderung?

Anfangs wurde es ziemlich ignoriert. Wir waren eine kleine Literatengruppe, spielten vor wenig Publikum, aber je mehr wir in diese Gruppe einbezogen wurden, umso mehr stieg auch der Erfolg an. Heute ja fast in astronomische Höhen. Man kann sagen: Ich bin sehr zufrieden. Ich will aber nicht sagen, wie viel Geld ich heute verdiene.

Weißt du noch, wie viel das damals war?

Wir nahmen keinen Eintritt, damals hatten wir noch diese absonderliche Idee, dass wir mit unsern Texten so weit die Welt verändern könnten, dass irgendwann gebratene Hühnchen durch die Luft fliegen. Es hat sich dann sehr bald herausgestellt, dass das nicht der Fall war. Und zwei, drei Jahre später mussten wir dann Eintritt nehmen, um überhaupt unsere Textbücher und Kugelschreiber finanzieren zu können. Damals waren vielleicht im Schnitt 20 bis 30 Leute, die da zugekuckt haben. Und es waren eigentlich auch immer dieselben. Eine Art Freundeskreis, kann man sagen.

Du hast da also viele Freunde gewonnen?

Ja, möchte ich sagen.

Was ist dir von den andern Teilnehmern von den frühen Shows in Erinnerung?

Es gab einige, die waren sehr lebensfroh und sind im Laufe der Zeit doch etwas abgestumpft. Andere wiederum sind aufgeblüht praktisch durch diese literarischen Vorlesungen.

Von dem, was die Leute vortrugen, ist dir da noch was präsent?

Es ist auf jeden Fall professioneller geworden.

Was gefiel dir damals besonders oder auch nicht?

Ich erinnere mich, dass mich Michael Stein besonders begeisterte. Ein Mann, der einfach von einem kleinen Zettel vorlesen konnte, auf dem vielleicht drei Sätze standen, und es schaffte, einen Text von fast einer halben Stunde daraus zu machen, während er am Mikrofon stand. Das hat mich schon ziemlich fasziniert, ich wollte das auch können. Aber ich hab’s bisher immer noch nicht geschafft, so weit zu sein. Ein weiter Weg liegt da noch vor mir.