Im Dämmerlicht der Lounge

Kein angestrengter Versuch des Mythentransfers: Mit dem einstmals legendären Underground-Club New Yorks hat der Mudd Club Berlin nur den Namen gemein

Man müsste den Mudd Club lange suchen, hätte nicht irgendwer einen Wegweiser aufgestellt. In flüchtig dahingekritzelten Buchstaben steht der Name des Clubs auf weißem Papier, notdürftig an eine Häuserwand geklebt. Weiter geht es in einen dunklen Hinterhof, wo schon der nächste Wegweiser auf einen wartet: eine rote Neonkonstruktion über einer Treppe, die steil hinab zu einer bastmattenbehangenen Tür führt.

Der Mudd Club ist neu in Mitte. Ein weiträumiger Clubraum, offen gehalten und in ein paar Lounge-Ecken mündend, mit sparsam eingesetzten Lichteffekten und schlichtem Inventar. Außer dem Namen verweist wenig auf den legendären New Yorker Underground-Schuppen, dem Frank Zappa in seinem Mudd-Club-Song einst die Huldigung widmete. „It’s the best kinda place / to unfasten yerself.“ Der Mudd Club in Soho, in den 70ern und 80ern Zentrale aller, die irgendwie „sub“ waren, ist schon lange Legende. Hier ging Basquiat ein und aus, zeigte Jim Jarmusch frühe Super-8-Filme und warf John Lurie dem Publikum seine zerbeulten Jazzkompositionen vor. Die Liste derer, die im Mudd Club auftraten, bevor sie berühmt wurden, ist lang.

Jetzt hat Steve Mass, der ebenfalls zur Legende gewordene Clubbesitzer, die New Yorker Kunstszene gegen das schicke Berlin-Mitte eingetauscht, wo sich Galerie- und Boutiquenbesitzer einander abends gute Nacht sagen. In der Nähe des Hackeschen Marktes soll sich erneut die Synthese aus Clubleben und avantgardistischer Kunstszene vollziehen. Bei solch einem ambitionierten Projekt erwartet man eigentlich zur Schau gestellte Club-Coolness und beflissene Szene-Codierung. Doch im Mudd Club, Berlin, geht es ziemlich unangestrengt zu. Die Clubgäste schmiegen sich lässig im Halbdunkel der Sitzgruppen. Ab und zu erhebt sich jemand, schlurft zur Theke und bestellt was. In kontrolliert nachlässig weiten Anzugshosen und Marken-Turnschuhen oder betont elegant im Sakko und in blanken Stiefeletten nimmt man seine Drinks entgegen, um gleich darauf wieder im Halbdunkel zu verschwinden.

Im nächsten Lied, das der DJ auflegt, singt die Sängerin von einem Haus mit 80 Stockwerken in einer nicht existierenden Stadt. Einzige Bewohnerin ist ein Mädchen, das auf einen Mann wartet – „Wann endlich, wann wird er da sein?“ Der DJ dreht die darunter liegenden Beats einen Ticks lauter, und eine Frau beginnt zu tanzen. Die zwei Clubgänger, die bislang unter dem milden Schein einer altertümlichen Wohnzimmerlampe in einem Gespräch vertieft waren, halten inne, beugen sich nach vorn ins Licht und sehen der einsamen Tänzerin zu. An der Wand gegenüber, wo ein Pärchen abwechselnd an einem gemeinsamen Cocktailgläschen nippt, zerfließt eine abstrakte Lichtprojektion.

Angesichts der mythenumwobenen Geschichte des New Yorker Mudd Clubs hätte aus der Berliner Variante auch ein angestrengter Wiederbelebungsversuch werden können, einer von den vielen in der Geschichte der Popkultur. Doch dieser Mudd Club ist ein anderer als der, den Frank Zappa besang. Zumindest in dieser Freitagnacht, in der einfach nichts Besonderes passiert. In der im Raum schon ein deutlich spürbarer Bewegungsüberschuss entsteht, als der DJ in Richtung Klo rennt, weil sein Handy klingelt. Ebenso schnell, wie er rausrennt, ist er auch wieder da, denn er muss das nächste Stück auflegen: Irgendetwas Noch-nie-Gehörtes zwischen Garage-Punk, Beatclub und Easy Listening. Warme Streicher-Arrangements treffen auf einen Beat, unter denen kaum hörbar Samba-Rhythmen pulsieren. In den Lounge-Ecken wippen Füße und schnipsen Finger.

„Hey, they’re really dancin’ / They’re on auto-destruct“, sang Frank Zappa weiter im Mudd Club-Song. Im Mudd Club von Berlin tanzen die Leute kaum. Besonders selbstzerstörerisch sind sie auch nicht. Sie sind einfach da. Hier ist es egal, für welche Klotür man sich entscheidet. Und wohin man später noch gehen wird. MATTHIAS ECHTERHAGEN

Mudd-Club, Große Hamburger Straße 17, Mitte