Die keimfreie Illusion

Impfungen gegen MKS würden diese Tierseuche nicht verhindern. Der Erregerist nicht das Problem – sondern ein Symptom: für eine verfehlte Agrarpolitik

Seuchenverursachte Kosten zeigen: Ökologie ist nicht teurer als die industrialisierte Landwirtschaft

Scheiterhaufen allerorten. Die Folgen der Maul- und Klauenseuche sind bitter, nicht nur für die getöteten Tiere und betroffenen Bauern – auch für die Betrachter ist der Anblick kaum zu ertragen. „Impfen“ ist nun das vermeintliche Zauberwort. Der Begriff ist überaus positiv besetzt: Viele Bauern sprechen inzwischen sogar von „Impfen“, wenn Antibiotikaspritzen verabreicht werden. Und auch die Interessenvertretung der praktischen Tierärzte fordert, Massenimpfungen wieder einzuführen. Hätte sich also die Maul- und Klauenseuche dadurch verhindern lassen? War es falsch, dass die EU seit fast zehn Jahren darauf verzichtet? Und: Soll jetzt in Deutschland doch noch im letzten Moment geimpft werden – in der Hoffnung, Massentötungen auf den Höfen zuvorzukommen? Nein. Impfungen sind leider keine Lösung.

Die jetzige MKS-Variante wäre auch dann ausgebrochen, wenn die EU die Massenimpfungen nicht Anfang der 90er-Jahre eingestellt hätte. Denn das MKS-Virus kennt diverse Erscheinungsformen, und gegen die jetzt grassierende Variante wirken die europäischen Impfungen nicht. Schließlich stammt das Virus vermutlich aus Asien – und es ist unmöglich, sämtliche Tierbestände gegen sämtliche Viren des Globus zu immunisieren.

Obwohl die Pharmaindustrie Impfungen propagiert wie ein Allheilmittel, sie sind keines – auch nicht im Falle der MKS. Denn das Immunsystem ist nicht starr, und daher lässt sich eine Impfung gegen MKS nicht als eine isolierte Maßnahme sehen. Je mehr wir impfen, desto mehr riskieren wir den Erfolg jeder einzelnen Impfung! Wenn dies nicht so wäre, spräche auch nichts dagegen, sich selbst etwa gegen jede der weltweit vorkommenden Grippevarianten impfen zu lassen.

Das Ganzkörperkondom für Tiere ist eine trügerische Illusion. Das Rundum-sorglos-Paket für ein Leben ohne Krankheit würde es selbst in einer ökologisierten Landwirtschaft nicht geben. Das Immunsystem bedarf des Trainings. Gesund sind deshalb die angeblich so hygienischen Gitterroste in den Hühnerbatterien ebenso wenig wie eine Sagrotan-sterile Umgebung für Kinder. Denn Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Krankheit, sondern die Fähigkeit des Immunsystems, Erreger und andere Krankheitsursachen schnell und effektiv an ihrer Ausbreitung im Körper zu hindern. Statt einer Versicherungsmentalität brauchen wir fehlerfreundliche Systeme, damit im Falle eines Falles nicht gleich alles zusammenbricht und sich beispielsweise ein Seuchenausbruch begrenzen lässt.

Aber auch wenn sich MKS nicht prinzipiell vermeiden lässt: Wäre nicht wenigstens jetzt eine Impfung gegen den aktuellen Erreger sinnvoll? Erneut: Leider nein. Denn geimpfte Tiere können nicht von ungeimpften unterschieden werden, sodass neue Krankheitsherde nicht zu erkennen wären – die weitere Seuchenentwicklung ließe sich nicht mehr beurteilen. Das Einzige, was in der aktuellen Situation sinnvoll sein kann, sind Ringimpfungen: durch gezielte und begrenzte Impfungen auf den Nachbarhöfen könnte ein Infektionsherd von MKS eingekreist werden. Aber auch dies hängt vom Einzelfall ab – also von der Lage des betroffenen Betriebs und des Infektionswegs.

Ausbrüche der MKS in Argentinien, Frankreich, Portugal und im Nahen Osten zeigen deutlich: Die Seuchenerreger sind Globalisierungsgewinner. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erreger von einem Kontinent zum nächsten geschleppt wird und einen Flächenbrand auslöst, hat durch die ständig steigende Tierdichte – pro Betrieb und pro Region – sowie durch die Tiertransporte dramatisch zugenommen. Vielen Infektionskrankheiten und auch Seuchen wird so ein optimaler Nährboden geboten. 3.000 Kilometer im Lkw von Polen bis nach Spanien und zurück nach Deutschland – wir kennen die Bilder der gequälten Kreaturen, doch sie bewirkten keine Agrarwende. Aber nun wird offenkundig: Tiertransporte sind der Dreh- und Angelpunkt für eine Industrie, für die das Tier nur eine Ware ist. Flexibel auf schwankende Preise für Futtermittel und Energie reagieren und auch noch den letzten Subventionspfennig nutzen: Die Masse macht’s – auf Kosten der Tiere und auf Kosten der Allgemeinheit.

Während die ökologische Landwirtschaft anstrebt, Tiere von der Geburt bis zur Schlachtung auf einem Betrieb zu halten, verändert die Industrialisierung die Agrarstruktur dramatisch. Beispiel Schweinezucht: Viele Betriebe sind bereits so spezialisiert, dass sie das Vieh jeweils nur in einem bestimmten Lebensabschnitt halten: als trächtige Sauen in Käfigen, Ferkel auf Gitterrosten oder Mastschweine in der Vor- und Endmast. Dazwischen gilt für die Tiere: auf- und abladen, auf- und abladen. Auch deshalb findet ein erheblicher Teil dieser Tierproduktion auf der Straße statt.

Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Krankheit, sondern eine leistungsfähige Immunabwehr

Die aktuell so große Gefahr der Ausbreitung von MKS in Europa ist vor allem durch solche Strukturen und das Transportunwesen zu erklären: optimale Bedingungen aus Sicht der reisefreudigen Erreger. Aber was ist das für ein System, das es noch nicht einmal ermöglicht, jeden Tiertransport rückwirkend zu identifizieren, der in den letzten Wochen aus England kam?!

So langsam dämmert es vielen: Vorgestern BSE, gestern Antibiotika, heute MKS und morgen vielleicht wieder ein Hormonskandal – das kann kein Zufall sein. Tatsächlich sind auch die aktuellen MKS-Ausbrüche letztlich nur Symptom einer maroden Weltagrarpolitik. Die Scheiterhaufen von vielen tausend Tieren sind der zwangsläufige Kulminationspunkt einer skandalträchtigen und gesundheitsschädlichen Industrialisierung der Landwirtschaft, deren Risiken sich nicht mehr beherrschen lassen. Doch ist die gefährliche industrialisierte Tierproduktion nicht unabänderlich. Risikominimierung ist auf allen Ebenen möglich: Tiertransporte müssen international und national reduziert werden. Die Tierdichte muss in den einzelnen Betrieben wie auch in den Regionen mit intensiver Tierproduktion gesenkt werden. Diese Maßnahmen sind vor allem auch deshalb geboten, weil die industrialisierten Produktionsmethoden die Tiere stressen. Das beginnt bei der Hochleistungszucht. Die Tiere müssen schneller wachsen, als sie es gesundheitlich verkraften können. Die Haltung zu vieler Tiere auf zu engem Raum führt ebenso wie der Tiertransport zu sozialem Stress. Stress aber schadet dem Immunsystem und macht die Tiere krankheitsanfällig. Gerade bei MKS spielt der Immunstatus eine große Rolle dabei, ob und in welchem Ausmaß die Krankheit ein einzelnes Tier befällt.

Die industrialisierte Landwirtschaft ist nicht nur für den Tierschutz, sondern auch volkswirtschaftlich eine Katastrophe. Sogar die Externalisierung von Kosten stößt tendenziell an ihre Grenzen und macht eine Agrarwende zwingend. Finanzminister Hans Eichel in Berlin und Finanzkommissarin Michaele Schreyer in Brüssel wissen es längst: Dieses auf Export und Überschüsse orientierte Agrarsystem ist nicht bezahlbar. Während sie den Haushalt 2002 um Milliarden beleihen müssen, lehnen sich die Versicherer zurück: „MKS? Nicht versicherbar . . .“ Das wird jeder verstehen. Denn entgegen den Beteuerungen aus England, man habe die MKS bereits im Griff, breitet sich die Seuche weiter aus.

Was aber ist, wenn tatsächlich in Regionen intensivster Tierhaltung wie in Vechta-Cloppenburg MKS ausbricht? Spätestens, wenn dann sogar Tierseuchenkassen kapitulieren müssen, weil sie für solche Flächenbrände nicht erfunden worden sind, muss der Staat ran. Warum also sollte regionale Vielfalt und ökologisierte Produktion volkswirtschaftlich teurer sein als die Folgen des mit vielen Tiertransporten erkauften europäischen Einheitselends?

Die Entwicklung einer Landwirtschaft zu fördern, die Tiertransporte auf ein Mindestmaß beschränkt – statt sie im Seuchenfall mal für zwei Wochen vollständig und flächendeckend zu verbieten –, das ist das Gebot der Stunde und würde den Namen „neue Agrarpolitik“ wirklich verdienen.

Hochleistungszucht stresst. Das schadet dem Immunsystem und macht die Tiere für Seuchen anfällig

Und damit sind wir zurück beim Impfen: Denn in einer ökologisierten Agrarwirtschaft würden völlig neue Bedingungen für die Seuchenprävention gelten. Und das kann im Einzelfall sogar heißen: Je begrenzter und überschaubarer der Markt, desto sinnvoller eine Impfung!

Massenimpfungen sind jedenfalls keine Lösung. Und auch Ringimpfungen sind bestenfalls eine Notlösung – dann, wenn das Rind bereits in den Brunnen gefallen ist. ANITA IDEL