Der Seher auf der House-Party

Dichter tanzen nicht: Der niederländische Schriftsteller Serge von Duijnhoven las in der Literaturwerkstatt

Gleich sein erstes Textstück führt uns mitten hinein in die bewegende Frage: Warum schreibt man? Der Niederländer Serge van Duijnhoven macht das, was wir von einem Poeten 2001, der Arthur Rimbaud als sein Vorbild benennt, in holländischen House-Clubs auftritt und mit Rappern kooperiert, mindestens erwarten: Er verweigert die Antwort.

Einen Cellisten oder einen Bäcker würde man ja auch nicht nach der Motivation seines Tuns fragen. Man würde die Suiten anhören, das Brot essen, und fertig. Nur der Dichter, Projektionsfläche einer romantischen Idee seines Publikums, das ihn zum Kommunikator der eigenen Begierden mache, müsse sich rechtfertigen – er, „der wegen seines Werkes behauptet, auch ein bisschen in die Seelen anderer Leute sehen zu können“.

Van Duijnhoven dreht den Spieß um. Er fragt, warum man damit aufhörte zu schreiben, nach der Pubertät, als es lächerlich zu werden begann, seinen Weltschmerz in Poesiealben zu verewigen. Diejenigen, so van Duijnhoven, die über diesen Punkt hinaus schrieben, seien Schriftsteller.

Das Manifest des Dreißigjährigen, das mit Feststellungen wie „Alle Menschen dichten“ nicht viel Neues sagt, sichert sich in der Literaturgeschichte ab. Zur Untermauerung der Thesen wird Henry David Thoreau herangezogen: „Wach sein ist leben“, erfahren wir aus dem Hand-out, „wir müssen lernen, aufzuwachen, mit einer unbegrenzten Erwartung der Morgenröte.“ Und dann Rimbaud. Van Duijnhoven will Poesie als Vehikel des Ausbruchs verstehen: Die vorgegebenen, einengenden Normen der Kultur sollen durch Dichtung aufgesprengt, alle Sinne des Menschen entgrenzt werden, um im Unbekannten anzukommen. Der Dichter muss zum Seher werden und den Fortschritt der Menschheit vorantreiben.

Was Rimbaud 1871, siebzehnjährig, in seinen „Seher-Briefen“ niederschrieb, variiert van Duijnhoven als sanft ironische Medienkritik. Stellvertretend für ein namenloses Publikum macht er sich lieber über die Reporter von „Damenblättern“ und ihre Motivation für das Schreiben lustig. So bleibt seine Auseinandersetzung mit dem Sinn des Dichtens lockere Unterhaltung.

„Dichter tanzen nicht“ heißt das Projekt, an dem van Duijnhoven mit Dj Fat und Vj Gabriel Kousbroek arbeitet. Die Performance der Holländer am Freitag in der Literaturwerkstatt lieferte eine Mix-Ästhetik aus Wort, Bild und Klang, bei der das Wort eindeutig Priorität hat. Nur selten lässt der DJ die schweren Grooves der Platten, die er statt mit 45 nur mit 33 Umdrehungen pro Minute spielt, laut werden. Man soll den Dichter verstehen, der von anorektischen Mädchen erzählt, von Löchern im Kopf, die mit Kaffee gestopft werden, von Liebe als Bluttest, und vom Tagesanbruch nach dem Alkoholrausch, bei dem der Held erkennt: „Ich bin wach.“

Einige seiner Texte trägt van Duijnhoven, der in den Niederlanden als „House“-Romancier gehandelt wird, in seiner Muttersprache vor, und nur dann kann man der phonetischen Spur seiner stark rhythmisierten Sprache folgen – und sich die im Hintergrund frei schwebenden bunten Blasen, Skelette und Hühner angucken. Dichter tanzen eben nicht. JANA SITTNICK