Am Reißbrett entworfen

Drei Tage lang diskutierten Historiker und Stadtplaner über die Zukunft des früheren SS-Truppenlagers in Sachsenhausen. Planungsstrategien sollte das Symposium liefern. Doch es zeigte vor allem eines: wie schwierig der Spagat zwischen Denkmalschutz und sensibler Nachnutzung ist

von NICOLE MASCHLER

Im NS-Terrorsystem hatte Sachsenhausen eine Sonderstellung inne: Ab 1936 im Norden Berlins als Modelllager errichtet, war es das erste vollständig am Reißbrett entworfene Konzentrationslager. Zunächst diente es als Ausbildungsort für KZ-Kommandanten und Wachpersonal, seit 1938 hatte die für alle Lager zuständige „Inspektion der Konzentrationslager“ hier ihren Sitz.

Eine Sonderrolle kommt Sachsenhausen auch in der bundesrepublikanischen Gedenklandschaft zu: Während anderswo die Spuren des NS-Terrors rasch beseitigt wurden, sind die steinernen Zeugnisse in Sachsenhausen noch immer sichtbar. Die heutige Gedenkstätte umfasst aber nur fünf Prozent der gesamten historischen Topographie des Lagers. Das ehemalige SS-Kasernengelände im Süden hingegen, seit Jahren ungenutzt, verfällt: Das „Grüne Ungeheuer“, früher Wirtschaftsgebäude und SS-Kantine, das Kulturhaus und der flache Industriebau aus NVA-Zeiten, das Heizhaus und das SS-Bad.

Seit der Wende diskutieren Historiker, Stadtplaner, Mitarbeiter der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Gemeindevertreter darüber, was mit dem ehemaligen SS-Truppenlager geschehen soll. Doch auch nach acht Jahren international geführter Diskussion ist eine Lösung nicht in Sicht. Ein Eindruck, den das dreitägige Symposium „Orte des Verbrechens zwischen Geschichte und Stadtentwicklung“ bestätigte, das am Samstag in Oranienburg zu Ende ging. Die Nutzungskonzepte könnten unterschiedlicher nicht sein: Während Denkmalschützer das Gelände am liebsten in die Gedenkstätte einbeziehen würden, plädieren Stadtplaner und -räte für eine sensible Nachnutzung. Das Ergebnis: Die Planung stockt.

Für einen Teil des früheren SS-Truppengeländes mit dem T-Gebäude, einst Sitz der Inspektion der Konzentrationslager, hatte sich der Stadtrat für die Nachnutzung entschieden: Denkmalgerecht restauriert, werden die Gebäude heute vom Oranienburger Polizeipräsidium, dem Straßenverkehrsamt, dem Finanzamt und der Gedenkstätte genutzt. Wirklich glücklich ist mit dieser Lösung keiner.

Für den Rest des etwa 40 Hektar großen Truppenlagers, der seit der Wende brachliegt, legte Daniel Libeskind ein Konzept vor. Anders als beim T-Gebäude will der amerikanische Stararchitekt die historischen SS-Liegenschaften bewusst mit Neubauten konfrontieren. Ein 40 Meter breiter und 680 Meter langer Gebäuderiegel soll sich quer durch das Gelände ziehen. Ein architektonischer Dialog, der die Besucher zum Nachdenken zwingt. „Hope Incision“ hat Libeskind seinen Entwurf genannt – „Einschnitt der Hoffnung“.

Das jetztige Konzept ist nach 1993 schon sein zweites. Damals hatte der Wiener Hermann Czeck mit einer Wohnbebauung den ersten Preis des Architekturwettbewerbs gewonnen. Für Libeskind blieb ein Sonderpreis. Er wollte die SS-Bauten komplett abreißen und das Areal fluten. Eine Idee, die nicht nur bei den Oranienburgern auf wenig Gegenliebe stieß und von der sich der US-Architekt inzwischen verabschiedet hat. Heute will er lediglich die ehemaligen Mannschaftsunterkünfte von einem „Wassergarten“ umspülen, der den Zugang nur über Brücken erlaubt. Die nach 1945 entstandenen Gebäude sollen abgerissen und die Lage der ursprünglichen Bauten durch in den Boden eingegrabene Folien, die einen veränderten Bewuchs bewirken, als „Schatten“ sichtbar werden.

Doch mit seinem konfrontativen Ansatz des „Hope Incision“ hat sich Libeskind nicht nur Freunde gemacht. Der Entwurf sei bereits in der öffentlichen Auslobung, erinnerte Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke.

Aber das letzte Wort scheint noch nicht gesprochen: Das Brandenburgische Landesdenkmalamt meldete in der vergangenen Woche grundsätzliche Bedenken an. In einem Brief teilte es der Stadt mit, dass es den aktuellen Bebauungsentwurf nicht genehmigen werde. Die geplanten Bauten würden „eine gravierende Überbauung des Denkmals bedeuten“. Die Gefahr sei groß, begründete Landeskonservator Detlef Karg das Veto, dass der Libeskind-Entwurf die Überreste des Nazi-Regimes künstlerisch überforme.

Karg war nicht der einzige, der das Konzept noch einmal grundsätzlich in Frage stellte: Die ausschließliche Konzentration auf ein Konzept, befand der Bauhistoriker Michael S. Cullen, verbaue andere Möglichkeiten.

Die Frage scheint jedoch, welche Alternativen es gibt. Schon der Erhalt der eigentlichen Gedenkstätte ist kaum zu finanzieren. Der Handlungsspielraum ist nicht sehr groß, zumindest wenn man der Argumentation des Stadtplaners Rainer Emenlauer folgt. Nur durch Nachnutzung sei das Gelände zu erhalten, glaubt Emenlauer, dessen Berliner Planungsbüro „ProStadt“ im Auftrag des Bundes an einer Machbarkeitsstudie arbeitet.

Wegen der Vielzahl der Gewerbeflächen und der geringen Nachfrage seien die wirtschaftlichen Perspektiven für den Standort denkbar schlecht. Emenlauer entwarf drei Szenarien: die Ansiedlung des kürzlich auf einen Bundestagsbeschluss hin in Berlin gegründeten „Deutschen Instituts für Menschenrechte“, die Gründung einer „Sachsenhausen International Postgraduate School“ für die Weiterbildung von Wissenschaftlern oder ein „Dienstleistungszentrum Oranienburg“ mit Anwaltskanzleien oder öffentlicher Verwaltung.

Vorschläge, die Landeskonservator Detlef Karg Bauchschmerzen bereiten. Er will das Areal möglichst vollständig erhalten. Vorschläge aber auch, die Libeskinds Konzept entgegenkommen. Erinnern ist ein Prozess, glaubt der Architekt, dem sich jede Generation aufs Neue stellen muss. Oranienburgs Bürgermeister Laesicke verwehrte sich entschieden dagegen, dass „kluge Leute und Institutionen den Oranienburgern Vorschriften machen wollen“. Doch der Gegensatz Musealisierung oder Nachnutzung, so scheint es, lässt sich nicht so einfach beiseite legen. Das Symposium habe die Diskussion erneut ein Stück vorangebracht, freute sich Moderator Gerd Appenzeller vom Tagesspiegel. Doch die Handlungsempfehlungen, die der Stadtplaner Günter Schlusche auf der Basis der dreitägigen Debatten in Plenum und Arbeitsgruppen entwarf, blieben unscharf. Entsprechend kritisch wurden sie von den Teilnehmern des Symposiums aufgenommen.

Eine Handlungsanleitung für den zukünftigen Umgang mit der Nazi-Hinterlassenschaft hatte der US-Historiker James E. Young bereits in seinem Einführungsreferat gegeben. Entscheident, glaubt Young, sei der Wille der Menschen, sich zu erinnern. Je mehr Zeit verstreiche, desto mehr entfernen sich nämlich der Ort des Geschehens und seine Vergangenheit voneinander. „Nur ein ganz bewusster Akt des Erinnerns kann beide wieder miteinander verbinden.“