Nie wieder ÖTV

Alle fünf beteiligten Gewerkschaften von ÖTV bis DAG stimmten am Wochenende für ihre Selbstauflösung und die Neugründung von Ver.di. Nun tritt die neue Dienstleistungsgewerkschaft als Konkurrentin der IG Metall auf

von B. DRIBBUSCH
und R. WILDNER

Nun ist es sicher. Die alten Symbole verschwinden. Künftig werden Streikende nicht mehr mit dem ÖTV-Logo vor Behörden stehen. Niemals mehr werden Verkäuferinnen mit dem Signet der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) gegen Ladenöffnungszeiten protestieren, nie mehr werden Drucker unter der Fahne der IG Medien für höhere Löhne die Arbeit niederlegen. Am Wochenende stimmten fünf Gewerkschaften in Berlin für ihre Selbstauflösung und die Verschmelzung zur neuen Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di.

Künftig werden die fast drei Millionen Mitglieder der beteiligten Gewerkschaften unter dem rot-weißen Schriftzug „ver.di“ firmieren. Die Mitglieder aus 1.000 Berufen werden automatisch 13 Fachbereichen zugeteilt, ansonsten ändert sich für die Mitglieder der aufgelösten Gewerkschaften nichts. Die Höhe des Mitgliedsbeitrags bleibt; eventuell vorhandene Daueraufträge können beibehalten werden.

Die neue Großgewerkschaft Ver.di soll auf einem Kongress mit 5.000 Teilnehmern von heute bis Mittwoch aus der Taufe gehoben werden. ÖTV-Chef Frank Bsirske ist für den Ver.di-Vorsitz nominiert und wird laut Planung morgen gewählt.

Vor den Abstimmungen hatten die Vorsitzenden der beteiligten Gewerkschaften ÖTV, HBV, IG Medien, der Angestelltengewerkschaft DAG und der Deutschen Postgewerkschaft DPG heftig für die Neugründung geworben. Die Gewerkschaften hatten fünf Kongresse einberufen. Hätte nur ein Kongress bei der Abstimmung das Quorum von 75 respektive 80 Prozent verfehlt, wäre das gesamte Ver.di-Projekt gescheitert.

Die ÖTV hatte schon am Freitag für die Verschmelzung gestimmt. Am Samstag votierten die anderen vier Organisationen für ihre Auflösung und die Gründung von Ver.di. Unsicher war man noch bei der HBV gewesen, weil einige Funktionäre Ver.di kritisch gegenüberstanden. Doch auch hier ergab die Abstimmung 84 Prozent. Die Delegierten der IG Medien stimmten nur zu 80 Prozent für Ver.di.

Drei Jahre lang wurde Ver.di vorbereitet. Zunächst sollten auch die Lehrergewerkschaft GEW und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Ver.di aufgehen. Beide Kandidaten sprangen bald ab. Nun müssen sie die Konkurrenz fürchten. Vor allem der Ver.di-Fachbereich „Bildung, Wissenschaft und Forschung“ könnte der GEW in die Quere kommen.

Mit den jetzt beschlossenen Auflösungen geht die Gewerkschaftsgeschichte der westlichen Bundesrepublik zu Ende. Den größten Anteil der Ver.di-Mitglieder liefert die Gewerkschaft ÖTV. Sie wurde 1949 gegründet und ging aus dem „Verband der Arbeiter in Gasanstalten“ hervor, der sich im Jahr 1896 zusammengefunden hatte. Die ÖTV hatte zuletzt 1,5 Millionen Mitglieder, darunter etwa 47 Prozent Frauen.

Die vor 50 Jahren gegründete Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) schloss zuletzt für die Branchen Einzelhandel, Großhandel, Kreditgewerbe, Versicherungen und private Dienstleistungen die Tarifverträge ab. Sie bringt rund 450.000 Mitglieder in Ver.di ein. Die IG Medien entstand erst 1985, als sich die Gewerkschaften „Druck und Papier“ und „Kunst“ zusammenschlossen.

Ver.di wird Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) sein und damit die IG Metall überflügeln, die bisher den größten Block im DGB stellte. Dass künftig mit Konkurrenzen zwischen den Gewerkschaften zu rechnen ist, wurde in den vergangenen Tagen deutlich. Die IG Metall wandte sich bereits gegen einen Alleinvertretungsanspruch von Ver.di für den Dienstleistungssektor. Etwa 50 Prozent der Beschäftigten im Bereich der Industriegewerkschaften übten Dienstleistungstätigkeiten aus, erklärte IG-Metall-Vize Jürgen Peters. Sowohl die IG Metall als auch Ver.di will sich um Angestellte in der Branche Informationstechnologie und Telekommunikation kümmern.